KIRCHE UND REVOLUTION
Schwerter zu Pflugscharen
Hintergrund
Ende der 1970er Jahre beginnt eine neue Runde des Wettrüstens zwischen den Staatenblöcken des Warschauer Vertrages und der NATO. Auf beiden Seiten werden Mittel- und Kurzstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen in Stellung gebracht. In beiden Teilen Deutschlands, an der Nahtstelle zwischen Ost und West, wächst die Angst vor einem Krieg.
In der DDR geht mit dieser bedrohlichen Entwicklung die ideologische Aufrüstung einher. Seit September 1978 werden die Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen im Fach Wehrkunde unterrichtet. Während sich in der Bundesrepublik die Friedensbewegung als unabhängige politische Kraft formiert, sind es in der DDR die Kirchen, in denen Menschen christlichen Glaubens, aber auch Konfessionslose einen Raum finden, in dem sie offen über ihre Ängste sprechen können. Im Gespräch und in der Auseinandersetzung mit Texten der Bibel gewinnen sie Mut zum Widerspruch gegen Aufrüstung und Militarisierungstendenzen in der Gesellschaft.
In einem visionären Text des Alten Testaments künden die Propheten Jesaja und Micha von einer Zeit, in der die Völker ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Speere zu Winzermessern umschmieden. Diese biblische Verheißung wird zum Symbol eines eigenständigen Friedensengagements, das im Laufe der Jahre immer stärker in die Öffentlichkeit drängt. Friedensgebete, Umweltgottesdienste und später auch Fürbittandachten für politisch Verfolgte prägen in den 1980er Jahren mehr und mehr das Bild der Kirchen in der DDR.
Marianne Subklew-Jeutner, Theologin, über die Situation im Jahr 1981
Friedensdekaden
Im Jahr 1979 empfiehlt der Ökumenische Jugendrat in Europa den Gliedkirchen, Friedenswochen zu veranstalten. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Jugend in der DDR nimmt diese Anregung auf.
So findet vom 9. bis 19. November 1980 die erste Friedensdekade unter dem Leitwort „Frieden schaffen ohne Waffen“ statt. Zahlreiche evangelische, katholische und freikirchliche Gemeinden beteiligen sich mit thematischen Jugend- und Gemeindeabenden, die in einen Buß- und Bittgottesdienst am Bußtag münden.
Mit der Friedensdekade 1980 wird eine ökumenische Tradition begründet, die in den folgenden Jahren immer mehr an Breite gewinnt. In vielen Gemeinden entwickeln sich die zehn Tage im November zu Höhepunkten des Gemeindelebens. Die abendlichen Friedensandachten werden von Menschen aller Generationen besucht. Es finden Lesungen, Konzerte, Jugendabende, kreative Angebote für Kinder, Gebetsketten und Friedensgottesdienste statt.
Um das Anliegen der Friedensdekade stärker in die Öffentlichkeit zu tragen, laden Gemeinden im Osterzgebirge zu einer „Wanderung“ von Kirche zu Kirche ein. Eine solche Veranstaltung ist nicht genehmigungspflichtig.
Quelle: Bernd Albani
Pfarrer Bernd Albani lädt Freya Klier und Stephan Krawczyk nach Frauenstein ein. Für Stasi-General Siegfried Gehlert ist Albani das „Oberschwein der reaktionärsten Kräfte“.
Quelle: Archiv Bernd Albani
Sofortmeldung der Bahnpolizei Magdeburg über die Einziehung des Aufnähers von Angela Kunze am 8. Juli 1982.
Quelle: Archiv Angela Kunze-Beiküfner
Während des Evangelischen Kirchentages in Wittenberg im September 1983 schmiedet der Kunstschmied Stefan Nau im Lutherhof ein Schwert zu einer Pflugschar um.
Quelle: epd-Bild/Bernd Bohm
Ein anstößiges Symbol
Das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ wird auf Vorschlag des sächsischen Landesjugendpfarrers Harald Bretschneider zum Kennzeichen der Friedensdekade im Jahr 1980. Es zeigt die stilisierte Abbildung eines Denkmals des sowjetischen Künstlers Jewgeni Wutschetitsch. Die Regierung der UdSSR hatte es im Jahr 1959 der UNO geschenkt.
Für die Friedensdekade 1981 wird das Motiv in Herrnhut in großer Auflage per Textildruck auf Vlies gedruckt. Für Textildruck ist keine Druckgenehmigung erforderlich. In der Folge tragen Tausende vorwiegend junger Menschen diesen Aufnäher auf ihren Jacken. Er wird zum Zeichen einer Protesthaltung gegen Bevormundung und ideologische Indoktrination.
Obwohl es kein offizielles Verbot gibt, fordert die Polizei Trägerinnen und Träger auf, das Symbol zu entfernen. Wer das Abzeichen trägt, läuft Gefahr, von Abitur oder Studium ausgeschlossen zu werden. Der Druckerei in Herrnhut wird die weitere Produktion untersagt.
Friedensforum in Dresden
am 13. Februar 1982
Zum Gedenken an die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 läuten jedes Jahr an diesem Tag um 21:50 Uhr die Kirchenglocken der Stadt.
Die Staatsorgane verlangen von der sächsischen Kirchenleitung, eine Aktion an der Ruine der Frauenkirche zu verhindern. Landesbischof Johannes Hempel erreicht einen Kompromiss. Im Anschluss an das Ökumenische Friedensgebet in der Kreuzkirche soll ein „Friedensforum“ stattfinden. Bürgerinnen und Bürger, die sich an der Ruine der Frauenkirche versammeln, sollen aufgefordert werden, in die Kreuzkirche zu kommen.
Johannes Hempel bescheinigt den Teilnehmenden des Forums angesichts der atomaren Bedrohung: „Ihr habt das Recht Alarm zu schreien“. Für viele junge Menschen ist ihre demonstrative Haltung jedoch auch ein Protest gegen staatliche Repression und Entmündigung. Darauf geht der Bischof nicht ein.
Nach dem Forum ziehen hunderte Teilnehmende zur Ruine der Frauenkirche und stellen Kerzen auf. Auch in den folgenden Jahren gibt es jeweils im Anschluss an das Ökumenische Friedensgebet am 13. Februar eine Demonstration mit Kerzen.
Für manche bisher eher ängstliche Bürgerinnen und Bürger sind dies die ersten tastenden Schritte heraus aus dem Schutzraum Kirche in die Öffentlichkeit.
Johanna Ebischbach verteilt im Herbst 1981 Flugblätter, mit denen zu einer stillen Gedenkfeier am 13. Februar 1982 an der Ruine der Frauenkirche eingeladen wird. Sie wird festgenommen und stundenlang verhört.
Quelle: Privat
Quelle: epd-Bild/Wolfgang Büscher