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DER WEG ZUR DEMOKRATIE

April bis Oktober 1990

April 1990

12. April

Lothar de Maizière (CDU) wird als Ministerpräsident der DDR von der frei gewählten Volkskammer mit 265 Stimmen bei 108 Gegenstimmen und neun Enthaltungen gewählt. Er bildet eine Koalitionsregierung aus den Parteien der „Allianz für Deutschland“ (CDU, DSU, DA), der SPD und dem „Bund freier Demokraten“ (DFP, LDP, F.D.P.).

Mai 1990

5. Mai

Erste Verhandlungen auf Außenministerebene zwischen den beiden deutschen Staaten und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion und USA in Bonn.

Die innenpolitischen und ökonomischen Aspekte der Vereinigung können von der Bundesrepublik und der DDR im Alleingang gestaltet werden, nicht aber die außenpolitischen. Zu deren Bewältigung bedarf es eines Verhandlungsrahmens, der neben den beiden deutschen Staaten auch die Siegermächte einschließt.

18. Mai

Die Finanzminister der beiden deutschen Staaten Theodor Waigel und Walter Romberg unterzeichnen den Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.

Juni 1990

7. Juni

Die Volkskammer beschließt die Bildung einer „Sonderkommission zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit“ unter Leitung von Joachim Gauck.

Der Streit um den Weg zur deutschen Einheit

Die politische Debatte um den Einigungsvertrag dreht sich nach der Volkskammerwahl vor allem um die grundsätzliche Frage, ob die Einheit der beiden deutschen Staaten nach Artikel 23 oder Artikel 146 des Grundgesetzes (GG) der Bundesrepublik vollzogen wird. Artikel 23 GG scheint einen schnellen Weg auf der Grundlage eines der DDR überlegenen Gesellschaftsmodells zu gewährleisten und wird vor allem von konservativen Politikerinnen und Politikern in Ost und West favorisiert. Jene, die die Einheit nach Artikel 146 GG befürworten, halten dagegen, dass dieser Weg die Mitwirkung des gesamten deutschen Volkes durch einen Volksentscheid ermöglicht. Die verfassunggebende Gewalt des Volkes werde nur dann realisiert, wenn das Volk nach breiter öffentlicher Debatte in einem Referendum der neuen gesamtdeutschen Verfassung zustimmt. Nach Einschätzung der Bürgerbewegungen in der DDR können nur so die Errungenschaften beider Seiten bewahrt, die demokratische Mitbestimmung des Volkes gestärkt und eine gesamtdeutsche Identität gebildet werden.

Bereits vor den Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten beantragt der DSU-Fraktionssprecher Jürgen Schwarz (stehend) auf der Volkskammersitzung am 17. Juni 1990, über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes „mit dem heutigen Tag“ abzustimmen.

Quelle: BArch, Bild 183-1990-0617-017/Klaus Franke

Juli 1990

1. Juli

Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion der beiden deutschen Staaten wird vollzogen.
Die DDR übernimmt das wirtschafts- und sozialpolitische System der Bundesrepublik und führt die D-Mark als alleiniges Zahlungsmittel ein.

Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion

Vielen Ostdeutschen werden die tiefgreifenden gesellschaftlichen Folgen der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion auf ihren Alltag und ihre Biografien erst nach deren Einführung bewusst. Die Festlegung des Wechselkurses und die Privatisierung der Betriebe bedeuten, dass die ostdeutschen Firmen einer „Schocktherapie“ ausgesetzt werden. Dazu kommt, dass Handelsbeziehungen zu den Staaten der ehemaligen sowjetischen Einflusszone wegbrechen.

Zwischen 1990 und 1995 verlieren 80 Prozent der Erwerbstätigen in Ostdeutschland ihren Arbeitsplatz. Ein nicht unerheblicher Teil von ihnen kann auf dem Arbeitsmarkt nicht wieder Fuß fassen.

Nach Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion beider deutscher Staaten bilden sich beim Umtausch des Geldes vor den Sparkassen der DDR lange Schlangen.

Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung/Klaus Mehner, 90_0626_2_001

6. Juli

Beginn der Verhandlungen über einen Einigungsvertrag zum Beitritt der DDR auf Grundlage des Artikels 23 des Grundgesetzes.

August 1990

23. August

Nach langen Diskussionen über den Beitrittstermin beschließt die Volkskammer in einer Sondersitzung mit 294 von 400 Stimmen den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990.

24. August

Die Volkskammer stimmt einem Gesetz zur politischen, historischen und juristischen Aufarbeitung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu. Die Bundesregierung hingegen möchte dieses Thema aus dem Einigungsvertrag ausklammern. Die Abgeordneten der Volkskammer drohen daraufhin, den Einigungsvertrag platzen zu lassen.

31. August

Unterzeichnung des „Vertrags zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über die Herstellung der Einheit Deutschlands“ (kurz: Einigungsvertrag) durch die Verhandlungsführer Günther Krause und Wolfgang Schäuble.

September 1990

4. September

Besetzung der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin. Die Besetzerinnen und Besetzer befürchten, dass die Akten jahrzehntelang unzugänglich bleiben. Sie wollen jedoch eine grundlegende Aufarbeitung und freie Akteneinsicht für die Stasi-Opfer.

Die Akten gehören uns!

Die ersten Besetzungen der Stasi-Zentralen in den Bezirken und Kreisen Anfang Dezember 1989 und in Ostberlin am 15. Januar 1990 durchkreuzen die Pläne des Geheimdienstes und der Geheimpolizei. Sie sind ein bedeutsamer Schritt, um die Macht der SED zu brechen. Ziel der Besetzung der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Ostberliner Normannenstraße im September 1990 ist, die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit auch nach der Vereinigung offen zu halten. Den Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands, insbesondere der ehemaligen DDR, soll die grundlegende Aufarbeitung der SED-Diktatur ermöglicht werden. Den Opfern der Geheimpolizei gilt es zur Gerechtigkeit zu verhelfen. Es soll künftig möglich sein, Täterinnen und Täter aus den Reihen der Stasi juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Ebenso soll ihnen der Zugang zu wichtigen Positionen im demokratischen Gemeinwesen versperrt werden. Die Auseinandersetzung mit der Diktatur wird von den Besetzerinnen und Besetzern als Voraussetzung für ein vereintes Deutschland angesehen. Mit diesem politischen Ziel trägt die Bürgerbewegung ihr ursprüngliches Anliegen und ihre Erfahrungen aus der DDR-Gesellschaft und der Friedlichen Revolution in das vereinte Deutschland.

Am 4. September 1990 verbarrikadieren sich 21 Mitglieder von Bürgerkomitees und Bürgerrechtsgruppen in Räumen der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit. Gleichzeitig beginnt vor dem Haupttor des Gebäudekomplexes eine Mahnwache.

Quelle: BArch, Bild 183-1990-0904-020/Hanns-Peter Lochmann

12. September

Unterzeichnung des „Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ durch Vertreter der beiden deutschen Staaten und der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs. Er stellt einen Quasi-Friedensvertrag dar und regelt die seit 1945 offene „deutsche Frage“.

18. September

Im Streit um die Stasi-Akten gelingt es, mit der Bundesregierung eine Lösung auszuhandeln. Die Akten werden nach der Vereinigung beider deutscher Staaten von einer eigenen Bundesbehörde verwaltet. Der Deutsche Bundestag soll über den Umgang mit ihnen entscheiden. Die Volkskammer stimmt einem entsprechenden Zusatz zum Einigungsvertrag zu.

20. September

Die Volkskammer und der Bundestag stimmen dem Einigungsvertrag zu. Die Abgeordneten der Volkskammer votieren mit 299 von 380 Stimmen dafür, die des Bundestages mit 442 von 492 Stimmen.

28. September

Die Besetzerinnen und Besetzer der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit verlassen die Gebäude. Die Stasi-Unterlagenbehörde entsteht mit der Wiedervereinigung am
3. Oktober 1990.

Oktober 1990

3. Oktober

Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Ein Jahr nach dem Beginn der Friedlichen Revolution und dem Mauerfall existiert der Staat der DDR nicht mehr und die Teilung Deutschlands ist überwunden.

Ankunft im vereinten Deutschland – selbstbewusst mit gedämpftem Jubel

Viele Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler haben im Herbst 1990 ein ambivalentes Verhältnis zur Einheit nach Artikel 23 des Grundgesetzes – und mitunter zur Einheit selbst. Am Beginn der Friedlichen Revolution ließen sich die Aktivistinnen und Aktivisten in den oppositionellen Gruppen vom Impuls und von der Absicht leiten, die Vorherrschaft der SED zu überwinden und die DDR-Gesellschaft auf breiter Basis zu reformieren. Nun befürchten zahlreiche Akteure der Friedlichen Revolution, dass nach vollzogener Einheit das neue politische Selbstbewusstsein der DDR-Bürgerinnen und -Bürger nicht mehr zum Tragen kommt oder im etablierten politischen System der Bundesrepublik versiegen wird.

Der Weg zur Einheit war ein Weg in die Demokratie. Doch die Demokratie der bundesrepublikanischen Gesellschaft ist vielen, die den Sturz der SED-Herrschaft mit Mut und Entschlossenheit ermöglicht haben, anfangs fremd. Dennoch sind Akteure der friedlichen Revolution weiterhin politisch aktiv – in der Zivilgesellschaft, in der Politik, auch im Umfeld der Kirchen. Inspiriert durch die von der Ökumenischen Versammlung der Kirchen in der DDR im Mai 1989 proklamierten „vorrangigen Optionen“ engagieren sie sich für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

Ehrentribüne am Reichstagsgebäude während der Feierlichkeiten am Tag der Deutschen Einheit: Jene Frauen und Männer, die die Friedliche Revolution mit Mut, Beharrlichkeit und Engagement ermöglichten, sind in der ersten Reihe nicht zu sehen.

Quelle: Bundesregierung, B 145 Bild-00009350/Christian Stutterheim

In der Gethsemanekirche findet am Tag der Deutschen Einheit ein Gebet für Frieden und Gerechtigkeit statt. Musikerinnen und Musiker aus Deutschland, Großbritannien und Polen führen anschließend das War-Requiem von Benjamin Britten auf. Auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist unter den Besuchern.

Quelle: Archiv Bernd Albani/Wolfgang Thomas

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