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DIE BERGPREDIGT

Aufbrüche im Geist
der Bergpredigt

Hintergrund

Über die Jahrhunderte hinweg werden Menschen immer wieder von der Bergpredigt inspiriert. Sie lassen ihr bisheriges Leben hinter sich, „schwimmen gegen den Strom“ und suchen nach einem echten christlichen Leben in der Nachfolge Jesu.

Das frühe Mönchtum entsteht als Gegenbewegung zu einer Kirche, die sich mit weltlicher Macht verbindet und Reichtum anhäuft. Doch selbst die Orden erliegen immer wieder der Versuchung, sich von den christlichen Idealen zu entfernen. Im 12. Jahrhundert entstehen in Frankreich und Italien die Armutsbewegungen der Katharer und Waldenser, die aufgrund ihrer speziellen Schriftauslegung als Ketzer und Häretiker verfolgt werden. Eine besondere Lichtgestalt am Beginn des 13. Jahrhunderts ist Franz von Assisi, der sich der Armut verschreibt, als Bettelmönch umherzieht und einen neuen Orden gründet.

In seiner Sorge um den weltlichen Frieden betont Erasmus von Rotterdam zu Beginn des 16. Jahrhunderts den zentralen christlichen Friedensauftrag und beruft sich dabei auf die Bergpredigt. Während sich Reformatoren wie Luther, Calvin und Zwingli mit der weltlichen Obrigkeit arrangieren, distanziert sich die Täuferbewegung als „dritte Reformation“ von politischer Macht. Sie propagiert freie Gemeinden, deren Mitglieder ein geschwisterliches Gemeinschaftsleben in der Nachfolge Jesu erproben, und wird dafür unbarmherzig verfolgt.

Eine Neubesinnung auf die Bergpredigt löst im 19. Jahrhundert der russische Schriftsteller Lew Tolstoi aus. Für Mahatma Gandhi wird die Bergpredigt eine wichtige Quelle der Inspiration, ebenso für Dietrich Bonhoeffer. Das belegt sein Brief an Gandhi aus dem Jahr 1934, in dem er sich auf die Bergpredigt bezieht. Bis heute bewegt die Bergpredigt Menschen dazu, das eigene Leben zu ändern und Gemeinschaften zu bilden, in denen ihre Ideale verwirklicht werden.  

Ältestes Porträt des Franz von Assisi (1181–1226), um 1228, Kloster Sacro Speco, Subiaco. Mahatma Gandhi schreibt: „Wenn es nur alle hundert Jahre einen Franziskus geben würde, wäre die Rettung des Menschengeschlechts gesichert.“

Quelle: Wikimedia Commons/Parzi

Jakob Hutter (1500–1536) stirbt auf dem Scheiterhaufen in Innsbruck.
Radierung, Künstler unbekannt, 18. Jahrhundert 

Quelle: Wikimedia Commons

Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), 1944.
In seinem Brief an Mahatma Gandhi vom 27. Oktober 1934 schreibt Dietrich Bonhoeffer: „Die westliche Christenheit muss aus der Bergpredigt neu geboren werden.“

Quelle: akg-images

Franz von Assisi

In einer Zeit, in der die Kirche reich und mächtig ist, wählt Franziskus (1181–1226), ein wohlhabender Kaufmannssohn aus Assisi, ein Leben in Armut in der Nachfolge Jesu. Er wendet sich den Armen und Aussätzigen zu, nennt alle Geschöpfe seine Geschwister und gründet einen Orden („Franziskaner“). 1219 reist Franziskus nach Palästina und predigt das Evangelium im Lager der Kreuzfahrer. Er wagt auch den Gang ins feindliche Lager und dringt bis zum Sultan Melek al-Kamil vor. Er möchte ihn durch Dialog zum Glauben an Christus führen und Frieden stiften. Obwohl Franziskus beide Ziele nicht erreicht, hinterlässt er bei Melek al-Kamil einen tiefen Eindruck. Früher als alle anderen Orden erhalten die Franziskaner unter muslimischer Herrschaft die Erlaubnis, die christlichen Pilgerstätten in Palästina zu betreuen.  

Papst Johannes Paul II. wählt 1986 Assisi als Ort für das erste große interreligiöse Friedensgebet. 

Am ersten interreligiösen Weltgebetstreffen 1986 nehmen 150 Vertreterinnen und Vertreter von 12 verschiedenen Religionen teil. Die Gemeinschaft Sant´Egidio macht daraus eine Tradition und organisiert seitdem jedes Jahr ein interreligiöses Friedenstreffen in Rom, Assisi oder anderen europäischen Städten.

Quelle: Sant´Egidio

Erasmus von Rotterdam (1466–1536) schreibt 1501 in seiner Anleitung zu einem christlichen Leben für den Ritterstand: „Es ist Brauch, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. (…) Doch was wird Christus, dein Herrscher, machen, wenn du an seinem Gesetz gefrevelt hast, das sich bei Matthäus findet“.

Quelle: Metropolitan Museum of Art

Erasmus von Rotterdam

Als Autor und Herausgeber ermöglicht der Humanist, Philologe, Pädagoge, Philosoph und Theologe Desiderius Erasmus, genannt Erasmus von Rotterdam (1466–1536), einen neuen Zugang zum geistigen Erbe der Antike, zum Text der lateinischen Bibel und zum griechischen Text des Neuen Testaments.

Im „Lob der Torheit“ (1510) übt er scharfe Kritik an der gesellschaftlichen und kirchlichen Realität in Europa. Im Mittelpunkt der „Klage des Friedens“ (1517) steht die Sorge um den weltlichen Frieden, den er – der Bergpredigt folgend – als zentrale christliche Aufgabe neu erkannt hat.

Dem Frieden verpflichtet, bleibt er skeptisch gegenüber den maßgeblichen Reformatoren wie Luther und Zwingli. Deren Angriffslust hält Erasmus für gefährlich. Er fürchtet einen religiösen Bruderkrieg und bemüht sich um Vermittlung und Versöhnung zwischen den konfessionellen Fronten.

Täufer, Mennoniten und Hutterer

Während sich die führenden Reformatoren wie Luther, Calvin und Zwingli mit weltlicher Macht verbinden, entsteht ab 1525 als „dritte Reformation“ die Täuferbewegung, deren freie Gemeinden unabhängig von der Obrigkeit leben wollen. Statt der Kindertaufe erkennen sie nur die Taufe mündiger Erwachsener an.

Die Täufer gründen ihr Leben auf das Evangelium in der Nachfolge Jesu, lehnen entsprechend der Bergpredigt jede Gewalt ab und entwickeln ein geschwisterliches Gemeinschaftsleben, in dem es keine sozialen Unterschiede gibt. Sie werden als Ketzer verfolgt, vertrieben und vielfach hingerichtet.

Aus der Täuferbewegung erwachsen die sogenannten historischen Friedenskirchen, so zum Beispiel die Mennoniten, benannt nach Menno Simons (Friesland), und die Hutterer, benannt nach Jakob Hutter (Tirol).

Menno Simons (1496–1561), niederländisch-friesischer katholischer Priester, schließt sich der Täuferbewegung an und wird einer ihrer führenden Theologen. Kupferstich von Pieter Holsteyns, 1622.

Quelle: Wikimedia Commons

Königreich des Friedens, Gemälde von Edward Hicks, um 1834. Hicks, ein Quäker aus Pennsylvania, stellt das friedliche Zusammenleben aller Tiere nach einer Vision des Propheten Jesaja dar. Im Hintergrund ist zu sehen, wie Vertreter der indigenen Bevölkerung und die Quäker einen Friedensvertrag schließen.

Quelle: National Gallery of Art, Washington

Die Quäker („Society of Friends“)

Der englische Schuhmacher George Fox (1624–1691) gründet 1652 die „Society of Friends“, eine christliche Gemeinschaft ohne Priester und Rituale, die auch unter dem Namen Quäker bekannt wird. Fox ist überzeugt, dass jeder Mensch etwas Göttliches in sich trage und nur darauf hören müsse. Die Gemeinschaft versucht, die Prinzipien der Bergpredigt zu verwirklichen.

Weil sie in England verfolgt wird, gründet William Penn (1644–1718) in der Neuen Welt eine Kolonie für Quäker, die schließlich Pennsylvania genannt wird. Die Gründung geschieht nach friedlichen Verhandlungen mit dem Stamm der Lenni Lenape. Auch die Gesetzgebung Pennsylvanias beruht auf den Idealen der Quäker. Alle Menschen sind gleich und haben die gleiche Würde. Es gibt keine Sklaverei.

Das Quäkertum beeinflusst später gesamteuropäische Bewegungen wie den Pietismus oder die Friedensbewegung.

Lew Tolstoi

Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828–1910), geboren in einer Landadelsfamilie, studiert orientalische Sprachen und Jura. Nach seinem Militärdienst in zwei Kriegen beginnt er 1851 mit dem Schreiben. In seinem Werk „Krieg und Frieden“ verarbeitet er romanhaft seine Kriegserfahrungen.

Am Ende einer tiefen Sinnkrise entdeckt er um 1880 die Lehre Jesu, wie sie in der Bergpredigt Ausdruck findet. Tolstoi ändert sein Leben radikal. Er verzichtet auf sein Eigentum und seine Urheberrechte, arbeitet mit den Bauern auf dem Feld und erlernt das Schusterhandwerk.

Er schreibt eine „Beichte“ sowie sozialkritische und religiöse Bücher. Sie werden in aller Welt gedruckt. Von seinen religiösen Texten, „Mein Glaube“ und „Das Reich Gottes ist in euch“, ist auch Mahatma Gandhi beeinflusst. Er liest sie in Südafrika und nennt seinen ersten Ashram dort Tolstoi-Farm.

Dietrich Bonhoeffer mit Konfirmanden, 21. März 1932 in Friedrichsbrunn. Um seiner Konfirmandengruppe nahe zu sein, zieht Dietrich Bonhoeffer 1932 für drei Monate in ein Arbeiterviertel im Berliner Bezirk Mitte und ermöglicht bedürftigen Jungen einen Kurzurlaub im Ferienhaus seiner Familie in Friedrichsbrunn/Harz.

Quelle: BArch, Bild 183-RO211-316

Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), evangelischer Pfarrer und Dozent an der Berliner Universität, erlebt 1932 eine tiefgreifende innere Wandlung, die von der Bergpredigt inspiriert ist und fortan sein Denken und Handeln bestimmt. Im August 1934 fordert er in einer programmatischen Rede auf einer internationalen ökumenischen Konferenz in Fanö ein ökumenisches Friedenskonzil.

Im Oktober 1934 schreibt er an Mahatma Gandhi. Er möchte für ein paar Monate nach Indien reisen, um von ihm „den Weg zu einem neuen christlichen Leben in kompromissloser Übereinstimmung mit der Bergpredigt“ zu erlernen. Er schlägt Gandhis Einladung jedoch aus, um 1935 die Leitung des Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde zu übernehmen. Im Wintersemester 1935/36 hält er eine Vorlesungsreihe über die Bergpredigt, die 1937 in das Buch „Nachfolge“ einfließt.

Ab 1939 hat Bonhoeffer Verbindungen zum militärischen Widerstand gegen Hitler. Am 5. April 1943 wird er verhaftet und am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet.

 

Bonhoeffers Brief an Gandhi auf Englisch und in der deutschen Übersetzung von Wolfgang Huber:

Quelle: Wolfgang Huber

Quelle: Clifford Green, „Dietrich Bonhoeffer’s Letter to Mahatma Gandhi,“ Journal of Ecclesiological History 72.1 (2021), 113-121

Quelle: Wolfgang Huber/Martin Weinhold

Alt-Bischof Wolfgang Huber über die zentrale Rolle der Bergpredigt für Dietrich Bonhoeffer

Wolfgang Huber über Bonhoeffers Plan, Mahatma Gandhi in Indien zu besuchen, und warum er ihn aufgab

Wolfgang Huber über die Auffindung des Bonhoeffer-Briefes und seine Bedeutung

Wolfgang Huber liest aus dem Brief von Dietrich Bonhoeffer an Mahatma Gandhi

Die Basisgemeinde Wulfshagenerhütten

Gemeinsam mit anderen Christinnen und Christen folgt der evangelische Pfarrer Gerhard Weber (1937–1994) in den 1970er Jahren einem Lebensmodell, das im Zeichen der Bergpredigt steht. Jesu Wort „Euch aber muss es zuerst um Gottes Reich und um seine Gerechtigkeit gehen“ lässt ihn nicht mehr los. „Darüber lässt sich nicht an langen Winterabenden diskutieren; das muss man ausprobieren: Das ist eine neue Lebensart; das ist die Lebensart Jesu, zu der er uns einladen will.“ Weber und eine Gruppe Gleichgesinnter geben ihre Berufe auf, beziehen ein heruntergekommenes Gutshaus in Wulfshagenerhütten und machen Ernst mit der „neuen Lebensart“ des Miteinander-Teilens und -Arbeitens, des Füreinander-Daseins und -Sorgens und des gemeinsamen Suchens in verbindlicher Gemeinschaft. Eine kleine „Kontrastgesellschaft“ entsteht, die Basisgemeinde Wulfshagenerhütten. Die Gemeinschaft finanziert sich durch die Herstellung und den Verkauf von Holzspielzeug, ist friedens- und umweltpolitisch engagiert und vernetzt.

Clemens Weber

Quelle: Katharina Jany

Clemens Weber, Sohn von Gerhard Weber, über konkrete Erfahrungen der Basisgemeinde mit der Bergpredigt

Clemens Weber über das „andere“ Miteinander in der Basisgemeinde und ihren Auftrag für die Welt

Gerhard Weber (1937–1994), Gründer der Basisgemeinde, ist überzeugt: „Nur, indem wir mit dem Einsatz unseres Lebens die Wahrheit der Worte Jesu ausprobieren, werden wir ihre Kraft und ihre Dynamik erkennen.“

Quelle: Basisgemeinde

Eine Gruppe der Basisgemeinde Wulfshagenerhütten zieht 1990 nach Berlin-Prenzlauer Berg. Sie unterstützt Bedürftige im Kiez, gründet ein Nachbarschaftszentrum, eine Kleiderkammer und einen Kinderladen. Sie trägt 15 Jahre das Friedensgebet in der Gethsemanekirche und ist ökumenisch und friedenspolitisch aktiv.

Quelle: Basisgemeinde

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