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MAHATMA GANDHI

Gandhis Leben und Suche nach der Wahrheit

Hintergrund

Mohandas Karamchand Gandhi wird am 2. Oktober 1869 als Sohn eines Kaufmanns und hohen Regierungsbeamten in der westindischen Küstenstadt Porbandar geboren. Seine Eltern sind tief in der religiösen und sozialen Hindutradition ihres Landes verwurzelt.

Mit 13 Jahren wird Gandhi mit der gleichaltrigen Kasturba verheiratet.

Mit 19 Jahren geht er nach London, wo er bis 1891 Jura studiert. Hier beginnt er religiöse Schriften zu lesen und entdeckt in ihnen das Prinzip der Gewaltlosigkeit.

1893 nimmt er einen Auftrag als Anwalt in Südafrika an. Empört über die Diskriminierung seiner indischen Landsleute, denen als billigen Arbeitskräften viele Rechte in Südafrika verwehrt sind, organisiert er gewaltfreie Boykott- und Protestaktionen und erreicht die Rücknahme diskriminierender Gesetze.

Als Gandhi 1915 nach Indien zurückkehrt, ist er im ganzen Land bekannt und erhält den Ehrentitel „Mahatma“ – „große Seele“. Er leitet landesweite gewaltfreie Aktionen, die 1947 schließlich zur Unabhängigkeit Indiens führen. Außerdem setzt er sich für die Kastenlosen und für die friedliche Beilegung der blutigen Konflikte zwischen Hindus und Moslems ein.

Gandhis Frau Kasturba mit den vier Söhnen, 1902. In den ersten Ehejahren gibt sich Gandhi seiner Frau gegenüber herrschsüchtig und unbarmherzig, was er später bereut. Kasturba wird zu seiner treuesten Weggefährtin. Sie stirbt 1944 im Gefängnis in seinen Armen.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

Gandhi (vorne rechts) 1890 als 20-Jähriger mit Mitgliedern der Vegetarischen Gesellschaft in London. Der Kontakt zu vegetarischen und theosophischen Kreisen regt Gandhi zur Lektüre verschiedenster religiöser Schriften an.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

Während ihn die einen als Heiligen verehren, wird er für andere zum Stein des Anstoßes. Mit 78 Jahren wird er am 30. Januar 1948 von einem fanatischen Hindu ermordet.

Ministerpräsident Jawaharlal Nehru hält noch am selben Tag eine Radioansprache und sagt über seinen Freund: „Das Licht, das dieses Land seit vielen Jahren erhellte, wird es noch viele Jahre erhellen, und noch tausend Jahre später wird man dieses Licht in unserem Land sehen, und die Welt wird es sehen, und es wird unzähligen Herzen Trost spenden.“

Gandhis Autobiografie, die 1929 erscheint, trägt den Titel: „Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit“. Bis zu seinem Tod versteht sich Gandhi als ein Wahrheitssucher. In seiner Autobiografie nennt er Personen und Schriften, die ihn auf seiner Suche besonders inspiriert haben. Diese werden im Folgenden aufgeführt, um Gandhis innere Entwicklung im Kontext seiner Zeit nachvollziehbar zu machen.

„Zukünftige Generationen werden kaum glauben können, dass ein Mensch aus Fleisch und Blut wie er jemals auf Erden gewandelt ist.“

Albert Einstein (1944)

Gandhi als Anwalt in Johannesburg, 1906. Um sein Leben vollständig der Wahrheit („Satya“) zu widmen, legt er 1906 mit 37 Jahren das Brahmacharya-Gelübde ab. Mit ihm wird die vollständige Kontrolle aller Sinne angestrebt, einschließlich lebenslanger sexueller Enthaltsamkeit.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

Gandhi im Alter von 76 Jahren in Sevagram bei Wardha, 1945. Er lebt asketisch und streng vegetarisch. Zu seinem Tagesablauf gehören feste Gebetszeiten. Er verrichtet bewusst einfache Arbeiten. An einem Tag in der Woche schweigt er. Fast neun Jahre verbringt Gandhi für seine Überzeugungen und Ziele im Gefängnis.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

Begegnung mit dem Buddhismus: „The Light of Asia“

1879 erscheint das Buch „The Light of Asia“ des englischen Journalisten und Asienkenners Edwin Arnold. Es ist ein Lehrgedicht über das Leben Buddhas. Bis dahin war in der westlichen Welt wenig über den Buddhismus bekannt. Arnolds Buch ist ein großer Erfolg. Es wird in über 30 Sprachen übersetzt und prägt bis heute die Vorstellungen über Gautama Buddha.

Gandhi gewinnt in London durch „The Light of Asia“ einen ersten Einblick in den Buddhismus. Er lernt Edwin Arnold persönlich kennen und arbeitet mit ihm zusammen in einer vegetarischen Gesellschaft.

Edwin Arnold (1832–1904)

Quelle: Notables of Britain. An Album of Portraits and Autographs of the Most Eminent Subjects of her Majesty in the 60th year of her reign. London 1897, Seite 119.

Kapitel 1,20.21 der Bhagavad Gita in einer Handschrift aus dem 19. Jahrhundert

Quelle: British Library London, Or. 13758, Folio 12r

Die Bhagavad Gita – die Heilige Schrift der Hindus

Die Bhagavad Gita ist die wichtigste Schrift des Hinduismus. In ihr wurden zwischen dem zweiten und fünften Jahrhundert vor Christus verschiedene hinduistische Traditionen zusammengeführt. Sie ist in Sanskrit in Form eines Lehrgedichts verfasst. Gandhi liest sie erstmals während seines Studiums in London in der englischen Übersetzung von Edwin Arnold („The Song Celestial“, 1885). Sie begleitet ihn fortan durch sein Leben. Er schreibt über die Bedeutung dieser Schrift: 

„Wenn Zweifel mich quälen, wenn die Enttäuschung mir ins Gesicht sieht und ich keinen Hoffnungsstrahl am Horizont entdecken kann, greife ich zur Bhagavad Gita, und dort finde ich einen Vers, der mich tröstet, und ich beginne mitten im tiefsten Leid zu lächeln.“

Die Kraft der Gewaltlosigkeit: Die Bergpredigt

In London liest Gandhi auf Empfehlung eines christlichen Freundes die Bibel und entdeckt die Bergpredigt. Er findet in ihr das hinduistische Grundprinzip der Nicht-Gewalt („Ahimsa“) wieder.

In seiner Autobiografie schreibt er: „Ich begann mit dem Lesen (…) Ich las das Buch Genesis und schlummerte bei den folgenden Kapiteln ausnahmslos ein. (…) Das Neue Testament jedoch machte mir einen anderen Eindruck, besonders die Bergpredigt, die mir direkt zu Herzen ging. Ich verglich sie mit der [Bhagavad] Gita. Die Stelle: ‚Ich aber sage euch, dass ihr dem Übel nicht widerstehen sollt; sondern so dir jemand einen Streich gibt auf deine rechte Backe, dem biete die andere auch dar. Und so dir jemand deinen Rock nimmt, dem lass auch den Mantel’ entzückte mich über die Maßen (…). Mein junger Geist versuchte, die Lehren der Gita, des ‚Light of Asia‘ und der Bergpredigt zu vereinen.“

Die Bergpredigt, Stahlstich nach einem Gemälde von Ernst Hader (1838–1922). Drucke und Gemälde dieser Art waren zu Gandhis Zeit sehr verbreitet.

Quelle: Katharina Jany

Shrimad Rajchandra ist ein Anhänger des Jainismus, zu dem sich auch Gandhis Mutter hingezogen fühlt.

Quelle: Shrimads Photographs

Mahavira-Skulptur im Tempel Shri Mahavirji, Indien. Mahavira begründet um 500 vor Christus den Jainismus. Radikaler als der Hinduismus vertritt er neben dem Prinzip der Nicht-Gewalt („Ahimsa“) die Ideale von Wahrhaftigkeit („Satya“), Keuschheit („Brahmacharya“) und Besitzlosigkeit („Aparigraha“).

Quelle: Wikimedia Commons/Dayodaya

Ein jainistischer Lehrmeister: Shrimad Rajchandra

Nach seiner Londoner Zeit begegnet Gandhi 1891 in Indien dem 25-jährigen jainistischen Philosophen, Dichter und Asketen Shrimad Rajchandra (1867–1901), mit dem ihn bis zu dessen frühem Tod eine tiefe Freundschaft verbindet.

Diesen „Gottsucher“ bezeichnet Gandhi neben Lew Tolstoi und John Ruskin als seinen Lehrmeister. Schon durch sein Elternhaus ist Gandhi mit dem Jainismus vertraut. Seine Verehrung für Rajchandra legt nahe, dass Gandhi mit seinem lebenslangen Hang zur Askese sehr stark vom Jainismus beeinflusst ist.

Das Böse durch das Gute überwinden: Lew Tolstoi

In Südafrika wird Gandhi durch Tolstois Buch „Das Reich Gottes ist in euch“ (1885) erneut auf die Bergpredigt aufmerksam. Tolstoi fordert darin, die Anweisung wörtlich zu nehmen, dem Bösen nicht zu widerstehen, sondern das Böse durch das Gute zu überwinden. Gandhi ist von der tiefen Moralität und Wahrhaftigkeit dieses Werkes überwältigt.

Als Tolstoi 1908 in einer indischen Zeitung der Opposition empfiehlt, den Kampf gegen die britische Besatzung durch passiven Widerstand auf der Grundlage der Nächstenliebe zu führen, beginnt Gandhi einen Briefwechsel mit Tolstoi. Zu Ehren des russischen Schriftstellers nennt Gandhi seinen ersten Ashram in Südafrika „Tolstoi-Farm“. Diese wird zum Ausgangspunkt seines gewaltfreien Kampfes für die Rechte der indischen Bevölkerung im südafrikanischen Transvaal.

Diese Zeichnung mit dem Porträt Lew Tolstois wird Gandhi 1931 von einer Tochter Tolstois während seines Aufenthalts in Rom überreicht.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

Henry David Thoreau (1817–1862)

Quelle: Wikimedia Commons/Benjamin D. Maxham

Titelbild der Erstausgabe von „Walden oder Leben in den Wäldern“ aus dem Jahr 1854

Quelle: English Wikipedia

Ziviler Ungehorsam: Henry David Thoreau

Der US-amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817–1862) lebt zwei Jahre autark in einer Blockhütte. Sein Buch „Walden oder Leben in den Wäldern“ (1854) ist ein Lobgesang auf eine einfache, naturverbundene Lebensweise.

Bereits 1849 erscheint sein Essay „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“. Darin schreibt Thoreau:

„Mit einem schlechten System kann man nicht zusammenarbeiten. Wer das Böse widerspruchslos hinnimmt, unterstützt es in Wirklichkeit.“

Gandhi gewinnt aus diesem Essay wichtige Einsichten in Grundsätze und Praxis des zivilen Ungehorsams.

Der Traum von einer gerechten Gesellschaft: John Ruskin

In seinem Buch „Unto This Last“ (1862) fordert der britische Schriftsteller und Sozialphilosoph John Ruskin (1819–1900) ein radikales gesellschaftliches Umdenken. Das Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg, nach dem alle Arbeiter am Ende den gleichen Lohn bekommen, deutet Ruskin als Appell zur Überwindung der Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihrer sozialen Stellung.

Gandhi begeistert sich für diese Idee. 1908 übersetzt er „Unto This Last“ in seine Muttersprache und setzt die Prinzipien der Gleichwertigkeit von körperlicher und geistiger Arbeit in der von ihm gegründeten Siedlung in Phönix (Südafrika) um. Fortan widmet er sich körperlicher Tätigkeit – wie der Arbeit am Spinnrad.

John Ruskin (1819–1900)

Quelle: LIFE Photo Archive, 7117ac450a4deeb8

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