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DER WEG ZUR DEMOKRATIE

Mai bis September 1989

Hintergrund

Der Übergang vom totalitären System zu demokratischen Strukturen vollzieht sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Mit dem Rückzug der Staatsmacht am 9. Oktober 1989 in Leipzig ist der Damm gebrochen. In den kommenden Wochen gehen landesweit Hunderttausende auf die Straße und fordern eine demokratische Umgestaltung.

Der Machtapparat der SED kollabiert. Am 7. November tritt die Regierung zurück, am 8. November das Politbüro der SED. Am Tag darauf fällt die Mauer. Am 1. Dezember beschließt die Volkskammer, die „führende Rolle der SED“ in der Verfassung zu streichen. Wenige Tage später wird der ehemalige Minister für Staatssicherheit Erich Mielke verhaftet. Gegen ihn sowie gegen Erich Honecker und weitere Spitzenfunktionäre wird wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und Korruption ermittelt. Am 14. Dezember wird beschlossen, das zuvor in „Amt für Nationale Sicherheit“ umbenannte Ministerium für Staatssicherheit aufzulösen. Zunächst sind noch Nachfolgeeinrichtungen geplant. So sollen eine Verfassungsschutzbehörde und ein Nachrichtendienst entstehen. Dazu kommt es jedoch nicht mehr.

Die bis dahin systemkonformen „Blockparteien“ CDU, LDPD, NDPD und DBD gehen auf Distanz zur SED und suchen die Nähe zu westdeutschen Parteien. Parallel dazu formiert sich die Opposition. Die SDP, die Grünen und der Demokratische Aufbruch konstituieren sich als Parteien. Das Neue Forum, Demokratie Jetzt, die Initiative Frieden und Menschenrechte sowie die Vereinigte Linke und der Unabhängige Frauenverband verstehen sich weiterhin als Bürgerbewegungen.

Am 7. Dezember tagt erstmals der Zentrale Runde Tisch. Er ist paritätisch besetzt mit Frauen und Männern aus der Opposition sowie Vertretern des alten Systems. Als Moderatoren werden mit dem parlamentarischen Handwerk vertraute Repräsentanten der Kirchen gewonnen. Wichtigste Aufgabe ist die Vorbereitung freier Wahlen. Die Opposition setzt durch, dass sich die Bürgerbewegungen an den Wahlen beteiligen können.

Eine Kommission wird beauftragt, eine neue Verfassung für die DDR zu erarbeiten. Am 4. April stellen Mitglieder des Runden Tisches den Entwurf vor. In der neugewählten Volkskammer gibt es jedoch eine deutliche Mehrheit für einen raschen Anschluss an die Bundesrepublik. Der Verfassungsentwurf wird nicht weiter behandelt.

Am 4. November 1989 demonstrieren in Ostberlin Hunderttausende für Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Sie folgen einem Aufruf von Kunst- und Kulturschaffenden. Der Palast der Republik wird von Demonstrierenden in Besitz genommen.

Quelle: Bernd Albani

Am 6. Dezember 1989 folgen zwölf Parteien, politische Gruppierungen und Organisationen der Einladung des Sekretariats des Bundes Evangelischer Kirchen und des Sekretariats der Berliner Bischofskonferenz zum ersten Gespräch am Zentralen Runden Tisch im Dietrich-Bonhoeffer-Haus.

Bildquelle: BArch, Bild 183-1989-1207-026/Klaus Oberst

Am 3. Oktober 1990, am Tag der Deutschen Einheit, erleben Hunderttausende vor dem Reichstag, wie die schwarz-rot-goldene Bundesfahne gehisst wird.

Quelle: BArch, Bild 183-1990-1003-400/Peer Grimm

Mai 1989

7. Mai

Unabhängige Bürgergruppen, die die Stimmenauszählung in den Wahllokalen überwachen, belegen die Fälschung der Kommunalwahlergebnisse durch die SED und die staatlichen Stellen.

Juni 1989

4. Juni

Seit Wochen demonstrieren in der chinesischen Hauptstadt Hunderttausende für mehr Freiheit und Demokratie. Die Armee schlägt die Proteste schließlich blutig nieder. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking sterben tausende Menschen. Wenige Tage später rechtfertigt die DDR-Volkskammer das Massaker als „Niederschlagung einer Konterrevolution“ und setzt damit ein politisches Zeichen.

7. Juni

In der Berliner Sophienkirche versammeln sich Bürgerinnen und Bürger, um gegen die Manipulation der Kommunalwahlen zu protestieren. Die Polizei löst die Demonstration auf und verhaftet zahlreiche Menschen. Dieser Demonstration folgen weitere an jedem 7. eines Monats.

Juli 1989

7. Juli

Auf dem Gipfeltreffen des Warschauer Paktes in Bukarest gibt die Sowjetunion die Breschnew-Doktrin der begrenzten Souveränität der Mitgliedsstaaten offiziell auf und verkündet die „Freiheit der Wahl“.

Michail Gorbatschow gewährt den Staaten des Warschauer Paktes das Selbstbe­stimmungsrecht

Der sowjetische Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow setzt sich für ein neues Denken und politisches Handeln ein und gewährt auf dem Bukarester Gipfeltreffen den Ländern des Warschauer Paktes das Selbstbestimmungsrecht. Mit der Aufgabe der sogenannten Breschnew-Doktrin endet der Hegemonieanspruch der Sowjetunion in den mit ihr verbündeten Staaten. Eine sowjetische Militärintervention wie 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn oder 1968 in der ČSSR ist jetzt unvorstellbar. Die Vorgänge werden von der Opposition in der DDR aufmerksam verfolgt. Ihr wird klar, welche Chancen sich bieten, aber auch welche Risiken damit verbunden sind. Gorbatschow hat eine zentrale Voraussetzung für demokratische Veränderungen und die eigenständige Entwicklung der DDR geschaffen, braucht aber einen friedlichen Verlauf, um die internationale Stabilität nicht zu gefährden.

Am 7. Juli 1989 nimmt die DDR-Delegation auf dem Gipfeltreffen der Warschauer-Pakt-Staaten Gorbatschows Abkehr von der Breschnew-Doktrin ohne Widerspruch zur Kenntnis. Fortan spitzen sich innerhalb der SED die parteiinternen Auseinandersetzungen über den Ausweg aus der Krise zu. Es kommt jedoch zu keinem Kurswechsel.  

Quelle: BArch 183-1989-0707-020/Rainer Mittelstädt

21. Juli

In mehreren Botschaften der Bundesrepublik – in der Tschechoslowakei, in Polen und Ungarn, auch in der Ständigen Vertretung in Ostberlin – halten sich in der zweiten Julihälfte mehr als 150 DDR-Bürgerinnen und -Bürger auf, die ihre Ausreise in den Westen erzwingen wollen.

August 1989

13. August

Der Arbeitskreis „Initiative für Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ fordert öffentlich, dass es angesichts der innenpolitischen Krise Zeit sei, „eine oppositionelle Sammlungsbewegung zur demokratischen Erneuerung“ ins Leben zu rufen.

19. August

Bei einem „paneuropäischen Picknick“ an der ungarisch-österreichischen Grenze bei Sopron wird mit der symbolischen Öffnung eines Grenztores für den Abbau der Grenzen und ein geeintes Europa demonstriert. Mehrere hundert DDR-Bürgerinnen und -Bürger stürmen durch das geöffnete Tor nach Österreich und fliehen in den Westen.

26. August

Eine Initiativgruppe ruft zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR auf und fordert die demokratische Erneuerung des Landes.

September 1989

4. September

Verschiedene oppositionelle linke Gruppen (u.a. christliche Sozialisten, Trotzkisten, Autonome und kritische SED-Mitglieder) veröffentlichen den Aufruf Für eine Vereinigte Linke in der DDR, später als Böhlener Plattform bekannt, in dem sie alternative Konzepte für eine „demokratische, freiheitliche sozialistische Entwicklung in der DDR“ fordern.

Im Anschluss an das Montagsgebet in der Leipziger Nikolaikirche findet eine von Ausreisewilligen dominierte Demonstration von etwa 1.200 Menschen statt.

10. September

Unter dem Namen Neues Forum tritt eine Bürgervereinigung mit ihrem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit. Darin wird festgestellt: „In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.“

11. September

Die ungarische Regierung öffnet die Grenze zu Österreich für DDR-Bürgerinnen und -Bürger. Zehntausende reisen in den nächsten Tagen und Wochen über Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik aus.

12. September

Der Arbeitskreis Initiative für Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung verabschiedet den „Aufruf zur Einmischung in eigener Sache“ – den Gründungsaufruf der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt.

18. September

In Leipzig gehen hunderte Demonstrierende im Anschluss an das Montagsgebet in der Nikolaikirche auf die Straße und rufen: „Wir bleiben hier!“ Zahlreiche Menschen werden festgenommen.

19. September

Das Neue Forum beantragt als erste oppositionelle Gruppierung in der DDR die Zulassung als Bürgervereinigung. Das Innenministerium begründet seine Ablehnung damit, dass das Neue Forum eine „staatsfeindliche Plattform“ darstelle.

25. September

Auf der Demonstration in Leipzig fordern etwa 8.000 Menschen demokratische Reformen und die Zulassung des Neuen Forums. Die Ausreisewilligen unter den Demonstrierenden sind inzwischen in der Minderheit.

Die Opposition gewinnt an Breite und zwingt die Staatsmacht zum Rückzug

Die Krise der DDR-Gesellschaft verschärft sich im Spätsommer und Herbst 1989. Neben internationalen Faktoren führen die offensichtliche Unfähigkeit der SED-Führung und ihr Unwille zu Reformen dazu, dass sich immer breitere Teile der Bevölkerung vom DDR-System abwenden.

Dies zeigt sich insbesondere durch die weiter steigende Ausreisewelle und das Anwachsen der Proteste. Die politische Opposition entwickelt eine neue Qualität und Stärke. Durch die Gründung der Bürgerbewegungen und Plattformen ab August und die landesweite Verbreitung ihrer Gründungsaufrufe sind politische Akteure entstanden, die das Machtmonopol der SED ernsthaft gefährden und einen gesellschaftlichen Wandel einleiten können.

Protestzug gegen das SED-Regime am 4. September 1989 in Leipzig. Er wird angeführt von jungen Mitgliedern Leipziger Umwelt- und Menschenrechtsgruppen. Sie bilden eine Reihe, um sich gegen Polizei und Stasi zu schützen. Zugleich demonstrieren sie damit ihre Geschlossenheit.

Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Armin Wiech/RHG_Fo_AW_0202

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