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MAHATMA GANDHI

„Satya­graha“
in Theorie und Praxis

Hintergrund

Nicht-Gewalt („Ahimsa“) ist für Gandhi kein passiver Verzicht auf Gewaltanwendung, sondern aktive Verwirklichung von Liebe. Sie widersteht dem Übeltäter, indem sie Böses mit Gutem beantwortet.

1906 nimmt Gandhi in Südafrika einer großen Zahl begeisterter Landsleute den Schwur ab, sich einer rassendiskriminierenden Verordnung mit zivilem Ungehorsam zu widersetzen und sich dafür widerstandslos ins Gefängnis werfen zu lassen. Gandhi selbst kommt mehrmals in Haft. 1908 gibt er seinem Konzept vom gewaltlosen Widerstand den Namen „Satyagraha“, wörtlich: „Festhalten an der Wahrheit“.

Wie „Ahimsa“ hat auch „Satyagraha“ nichts mit Passivität oder Schwäche zu tun. Sie verlangt eine weit größere Stärke als jede Anwendung von Gewalt. Sie setzt die Bereitschaft voraus, für eine gerechte Sache zu leiden und sogar zu sterben. Da „Satyagraha“ auf dem Prinzip der Liebe beruht, will sie dem Gegner keinerlei Schaden zufügen. Sie will ihn vielmehr durch das eigene Leiden im Innersten berühren und so gewinnen. Um „Satyagraha“ zu verwirklichen, bedarf es einer ständigen Selbstläuterung durch Gebet und Fasten.

Für Gandhi spielt es keine Rolle, zu welcher Religion man sich bekennt. Wahrheit sei in jeder Religion enthalten. In Khan Abdul Ghaffar Khan findet er einen muslimischen Weggefährten, der 100.000 muslimische „Satyagrahis“ hinter sich vereint.

Zu Gandhis gewaltfreien Aktionsformen zählen Boykott, Streik, Steuerverweigerung, das bewusste Übertreten von Gesetzen bei widerstandsloser Inkaufnahme der Strafe (ziviler Ungehorsam), Märsche, Kundgebungen und Fastenaktionen. Obwohl sein Kampf mit vielen Opfern, Rückschlägen und Enttäuschungen verbunden ist, hält Gandhi konsequent am gewaltfreien Weg fest. Nach Gewalt-Eskalationen zwischen Hindus und Moslems setzt der greise Gandhi seine ganze Kraft für die Versöhnung zwischen den beiden Religionsgruppen ein.

„Wer gewaltlos sein will, (...) muss jede Bosheit ruhig hinnehmen, die sein Verfolger gegen ihn anwendet. Völlige Nicht-Gewalt ist völlige Abwesenheit von Übelwollen gegen alles, was lebt. (...) Sie ist reine Liebe. Ich fand sie in den Schriften der Hindu, in der Bibel und im Koran.“

aus: Mahatma Gandhi, Gewalt überwinden – aus dem Geist handeln, Freiburg im Breisgau, 2002 S. 99

Botschaften Gandhis

„Leid ist das Gesetz der menschlichen Wesen; Krieg ist das Gesetz des Dschungels. Aber Leid ist unendlich mächtiger als das Gesetz des Dschungels, denn es bekehrt den Gegner und öffnet seine sonst verschlossenen Ohren der Stimme der Vernunft. (…) Der Appell an die Vernunft ist mehr eine Kopfangelegenheit, doch die Rührung des Herzens geschieht durch Leiden.“

(aus: Mahatma Gandhi, Gewalt überwinden – aus dem Geist handeln, Freiburg im Breisgau, 2002, S. 91)

 „Nicht-Gewalt bedeutet in ihrer Auswirkung bewusstes Leiden. Sie bedeutet nicht Unterwerfung unter den Willen des Ungerechten, sondern bedeutet Einsetzen der ganzen Seelenkraft gegen den Willen des Tyrannen.“

(aus: Mahatma Gandhi, Gewalt überwinden – aus dem Geist handeln, Freiburg im Breisgau, 2002, S. 60)

„Kraft entstammt nicht körperlicher Fähigkeit, sondern einem unbeugsamen Willen.“

(aus: Mahatma Gandhi, Gewalt überwinden – aus dem Geist handeln, Freiburg im Breisgau, 2002, S. 71)

„Gewaltlosigkeit war nie als Waffe der schwachen, sondern der tapferen Herzen gedacht.“

(Young India, 1931, zitiert nach Sigrid Grabner, Mahatma Gandhi. Gestalt, Begegnung, Gebet, Freiburg im Breisgau, 1994, S. 78)

„Feiglinge sterben viele Tode vor ihrem eigentlichen Tod.“

(Autobiografie, Berlin, 1982, zitiert nach Sigrid Grabner, Mahatma Gandhi. Gestalt, Begegnung, Gebet, Freiburg im Breisgau, 1994, S. 75)

„In den Zeiten, die kommen werden, werden die Menschen uns nicht einschätzen nach dem Glauben, zu dem wir uns bekannten, oder nach der Bezeichnung, die wir tragen, oder nach den Losungen, die wir schreien, sondern nach unserer Arbeit, unserem Fleiß, unserer Opferbereitschaft, unserer Aufrichtigkeit und der Reinheit unseres Charakters. Sie werden wissen wollen, was wir tatsächlich für sie getan haben.“

(Harijan, 16.2.1934, zitiert nach Sigrid Grabner, Mahatma Gandhi. Gestalt, Begegnung, Gebet, Freiburg im Breisgau, 1994, S. 90f.)

„Meine Religion lehrt mich, dass wir immer dann, wenn wir eine Notlage nicht beheben können, fasten und beten müssen.“

(aus: Mahatma Gandhi, Aus der Stille kommt die Kraft des Friedens, Freiburg im Breisgau, 2007, S. 57)

„Das Beten war die Rettung meines Lebens gewesen. (…) Mag mir auch die Verzweiflung über die politische Lage ins Antlitz starren, so habe ich doch nie meinen Frieden verloren. (…) dieser Friede (…) kommt vom Beten.“

(aus: Mahatma Gandhi, Gewalt überwinden – aus dem Geist handeln, Freiburg im Breisgau, 2002, S.75f.)


„Fasten und ähnliche Übungen (…) sind Mittel zum Ziel der Selbstzucht, doch sie sind nicht alles. Wenn leibliches Fasten nicht von geistigem Fasten begleitet wird, muss es in Heuchelei und Unheil enden.“

(aus: Mahatma Gandhi, Gewalt überwinden – aus dem Geist handeln, Freiburg im Breisgau, 2002, S. 55)

„Ich glaube an die tiefe Wahrheit aller großen Weltreligionen.“

(Harijan, 16.2.1934, zitiert nach Sigrid Grabner, Mahatma Gandhi. Gestalt, Begegnung, Gebet, Freiburg im Breisgau, 1994, S. 90)

„Ob Hindus oder Moslems, Parsen, Christen oder Sikhs – wir alle beten denselben Gott an. Das Gemeinschaftsgebet ist ein nützliches Mittel, die grundlegende Einheit der Menschen durch gemeinsame Anbetung zu verwirklichen“.

(aus: Mahatma Gandhi, Aus der Stille kommt die Kraft des Friedens, Freiburg im Breisgau, 2007, S. 82)

„Wenn wir in uns die Fähigkeit entwickeln wollen, alle Menschen als gleich anzusehen, dann sollte es auch unser Ziel sein, nur das zu bekommen, was auch der Rest der Welt bekommt. Wenn also die ganze Welt Milch bekommt, dann sollen auch wir welche haben.“

(aus: Mahatma Gandhi, Aus der Stille kommt die Kraft des Friedens, Freiburg im Breisgau, 2007, S. 76)

„Aller Charme des Lebens ist nur möglich, wenn wir lernen, in edler Einfachheit zu leben.“

(aus: Mahatma Gandhi, Gewalt überwinden – aus dem Geist handeln, Freiburg im Breisgau, 2002, S. 92)

Gandhi beim Schreiben, 1942. Er beantwortet alle Briefe persönlich, manchmal sind es mehr als 50 am Tag.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

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Sigrid Grabner, Gandhi-Biografin, über Gandhis Bedeutung heute

Gandhi am Spinnrad, das er täglich nutzt, 1925. Selbst wenn er Besuch empfängt, setzt er seine Arbeit häufig fort.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

Die Aktion Spinnrad

Die Aktion Spinnrad ist Teil der ersten „Massen-Satyagraha“ (1920–1922), einer umfassenden Kampagne der Nicht-Zusammenarbeit mit der britischen Kolonialmacht. Da die indische Textilproduktion durch britische Importe am Boden liegt, ruft Gandhi die Bevölkerung auf, kein ausländisches Tuch mehr zu kaufen.

Seit 1920 trägt er selbst nur noch indischen Khadi (von Hand gesponnenes und gewebtes Tuch). Sein Markenzeichen wird der Dhoti, eine weiße Tuchbahn, die er sich in der Art kurzer Hosen um die Hüften schlingt. Symbol der Kampagne ist das Spinnrad, das für die heimische Produktion und den Wohlstand des Landes steht. Der Boykott hilft vielen Inderinnen und Indern, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Er führt zu einem Rückgang des Imports englischer Baumwollprodukte um 84 Prozent.

Der Salzmarsch

Eine spektakuläre gewaltfreie Aktion auf dem Weg zur indischen Unabhängigkeit ist der Salzmarsch (1930). Er richtet sich gegen das britische Salzmonopol, das Indien den eigenen Abbau verbietet.

In einem dreiwöchigen Fußmarsch legt Gandhi zusammen mit einer wachsenden Gefolgschaft einen Weg von knapp 400 Kilometern zur Westküste Indiens zurück, um dort durch eine symbolische Geste der Salzgewinnung das britische Gesetz zu übertreten.

Tausende Inderinnen und Inder folgen überall im Land seinem Beispiel. Die britische Kolonialmacht reagiert mit Gewalt. Es kommt zu über 100 Todesopfern und circa 60.000 Verhaftungen. Gandhi selbst wird für sechs Monate inhaftiert.

24 Tage dauert der Salzmarsch bis zum Dorf Dandi an der Küste des Arabischen Meeres.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

Nach seiner Ankunft hebt Gandhi am Strand eine Handvoll Salz auf und übertritt damit symbolhaft das Verbot des Salzabbaus.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

Auf dem Friedensmarsch im November 1946 tröstet Gandhi trauernde Frauen in Noakhali (Bengalen).

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

Der Friedensmarsch 1946

Zeit seines Lebens setzt sich Gandhi für die Versöhnung zwischen Hindus und Moslems ein. Er kämpft für ein geeintes Indien, in dem Hindus und Moslems friedlich zusammenleben.

Die Moslemliga, eine Partei im Nationalkongress, strebt einen eigenen muslimischen Staat an. Als sie sich bei den Unabhängigkeitsverhandlungen mit den Briten übergangen fühlt, ruft sie zu einem landesweiten Aktionstag auf.

Daraufhin kommt es im August 1946 in Kalkutta zu einer Orgie der Gewalt, bei der über 4.000 Hindus getötet und mehr als 15.000 verletzt werden. Es folgen Racheakte der Hindus. Bürgerkriegsähnliche Zustände mit Massenmorden, Brandstiftungen, Vergewaltigungen und Plünderungen überziehen das Land.

Durch eine Fastenaktion gelingt es Gandhi, die aufgebrachten Volksgruppen zu einer Waffenruhe zu bewegen. Er begibt sich auf einen mehrmonatigen Fußmarsch, um Frieden zu stiften und zu versöhnen. Er tröstet, ermutigt und ermahnt.

Fasten und Beten für die Versöhnung zwischen Hindus und Moslems

Mit der Erklärung der Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht am 15. August 1947 ist die Teilung des Landes in das muslimische Pakistan und das hinduistische Indien verbunden. Die Teilung ist für Gandhi die schwerste Enttäuschung seines Lebens, nicht zuletzt weil sie mit blutigen Kämpfen und Vertreibungen einhergeht und unendliches Leid über die Bevölkerung bringt.

Bis zu seinem Tod kämpft er für das Ende der Gewalt und die Versöhnung der Religionsgruppen. Dabei scheut er auch nicht den Einsatz seines „letzten Mittels“, des „Fastens bis zum Tode“, mit dem er die Herzen der Konfliktparteien erreichen will.

In großen Gebetsversammlungen liest Gandhi stets auch Passagen aus dem Koran. Er macht sich dadurch Feinde unter den Hindus. Einer von ihnen, ein ehemaliger Anhänger Gandhis, wird am 30. Januar 1948 zu seinem Todesschützen.

Während des letzten Gebetstreffens am Tag vor Gandhis Ermordung.

Quelle: GandhiServe – www.gandhiserve.org

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