ORTE DER REVOLUTION
Die Friedliche Revolution erfasst das ganze Land
Hintergrund
Die Proteste gegen die Staatsmacht und die Vorherrschaft der SED werden im Spätsommer und Herbst 1989 in allen Landesteilen lauter. In Halle, Jena, Plauen, Potsdam und Rostock kommt es zu Ereignissen, die auf die politische Entwicklung der DDR insgesamt oder die Region ausstrahlen.
Umwelt- und Friedensgruppen initiieren am 5. Oktober in der Petrikirche in Rostock eine erste Fürbittandacht für die in Leipzig zu Unrecht Inhaftierten. In Plauen demonstrieren am 7. Oktober 15.000 Menschen und verlangen Meinungs- und Reisefreiheit sowie politische Reformen. Eine kleine Gruppe überwiegend junger Leute organisiert am gleichen Tag einen Demonstrationszug in der Innenstadt von Potsdam. Während in Leipzig die Montagsdemonstration stattfindet, versammeln sich am 9. Oktober Hunderte auf dem Hallenser Marktplatz, um an einem Friedensgebet teilzunehmen. Auch in Jena kommen Ende Oktober Bürgerinnen und Bürger zu einer ersten friedlichen Kundgebung zusammen.
Plauen
Der Niedergang der DDR, insbesondere der Verfall der Städte und Industriebetriebe, ist in Sachsen besonders offensichtlich. Die Bevölkerung ist immer weniger bereit, das System zu akzeptieren. Die Verzweiflung und die Wut der Bürgerinnen und Bürger entladen sich in Plauen am 7. Oktober 1989. In der vogtländischen Stadt ergreifen zahlreiche Menschen unabhängig voneinander die Initiative.
Jörg Schneider tippt hunderte Aufrufe zur Demonstration in die Schreibmaschine und verteilt sie. Sigmar Wolf schreibt die Losung „Reisefreiheit, freie Wahlen und vor allem Frieden“ auf ein Bettlaken und entrollt das Transparent vor dem Theater. Über Mundpropaganda wird zu einer Demonstration am 40. Jahrestag der DDR in der Innenstadt aufgerufen. 15.000 Menschen versammeln sich und fordern Reformen sowie Reise- und Meinungsfreiheit. Polizei und Stasi gelingt es nicht, die Kundgebung aufzulösen. Superintendent Thomas Küttler vermittelt zwischen Demonstrierenden und dem Rat der Stadt sowie der Polizei. Er erreicht, dass die Kundgebung friedlich endet.
Halle
Die Bilder der Demonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989 gehen um die Welt. Obwohl Stasi, Polizei und Militär bereitstehen, verläuft die Demonstration friedlich. Der 9. Oktober gilt als Tag der Entscheidung – der unblutigen Entmachtung der SED. Doch die Ereignisse am gleichen Abend im nur wenige Kilometer entfernten Halle zeigen, dass die Staatsmacht weiterhin glaubt, auch andere Optionen zu haben.
Am frühen Abend versammeln sich hunderte Demonstrierende vor der Marktkirche im Zentrum der Händel-Stadt. Sie wollen an einem Friedensgebet teilnehmen, einige tragen brennende Kerzen und halten Losungen in die Höhe wie „Gewaltfrei widerstehen – Schweigen für Leipzig – Schweigen für Reformen – Schweigen fürs Hierbleiben”. Die Sicherheitskräfte sperren die Zugänge zum Markt. Nachdem sie einen Teil der Menschenmenge in die Kirche abgedrängt haben, räumen sie mit Gewalt den Marktplatz. Der Stasi-Bericht verzeichnet gezielten Schlagstockeinsatz und 41 Verhaftungen.
Fürbittandacht in der Berliner Gethsemanekirche am 16. Oktober 1989: Pfarrer Steffen Metzger berichtet von den Übergriffen der Sicherheitskräfte am 9. Oktober 1989 vor der Marktkirche in Halle
Jena
Jena ist seit Jahrzehnten eines der Zentren von Opposition und Widerstand in der DDR. Gegen das SED-Regime wenden sich in der thüringischen Universitätsstadt immer wieder Schülerinnen und Schüler, Studierende und junge Intellektuelle.
In den 1980er Jahren bildet sich die Gruppe „Weißer Kreis“, um Ausreisewillige zusammenzubringen und ihre Interessen zu vertreten. 1983 entsteht die Friedensgemeinschaft Jena. Sie fordert politische Mitsprache in der DDR und einen „Sozialen Friedensdienst“ als Alternative zum Wehrdienst. Bekannte Vertreter der Jenaer Bürgerrechtsbewegung sind Matthias Domaschk und Roland Jahn.
Am 25. Oktober 1989 versammeln sich die Bürgerinnen und Bürger der Stadt zu ihrer ersten Kundgebung. Die politische Entwicklung in der DDR ist zu diesem Zeitpunkt in einem Stadium, in dem sich Polizei und Stasi den Demonstrierenden nur noch in Zivil entgegenstellen.
Rostock
Verglichen mit den südlichen Bezirken der DDR setzen im Norden, in den Bezirken Rostock, Schwerin und Neubrandenburg, die Proteste und Kundgebungen gegen die Allmacht der SED und für eine demokratische Veränderung mit geringer zeitlicher Verzögerung ein. In Rostock – der größten Stadt im Norden des Landes – organisieren oppositionelle Umweltgruppen am 5. Oktober 1989 in der Petrikirche eine erste Fürbittandacht für die in Leipzig Inhaftierten. Zum Zentrum des demokratischen Aufbruchs in der Hafenstadt entwickelt sich die Marienkirche. Um ihre Gewaltfreiheit zu unterstreichen, stellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Demonstrationen im November und Dezember Kerzen vor das Rathaus und die Bezirksverwaltung der Stasi im Zentrum der Stadt.
Potsdam
In Potsdam versammeln sich am 7. Oktober 1989 vor dem Brandenburger Tor etwa 50 Menschen zu einer unangemeldeten Demonstration. Während sie durch die Innenstadt ziehen, wächst die Gruppe auf 200 bis 300 Personen an. Die Demonstrierenden rufen: „Wir bleiben hier, verändern wollen wir!“ Die friedliche Veranstaltung wird von Polizei und Staatssicherheit aufgelöst.
Die Initiative zur Demonstration geht von den Jugendlichen Jeanne und Olaf Grabner, Udo Kreschel und Andreas Ortlieb aus. Noch bis vor kurzem sind sie mit ihrer Idee auf wenig Gegenliebe auch im oppositionellen Lager gestoßen. Doch sie lassen sich nicht entmutigen und drucken einige Flugblätter mit einem Aufruf. Vor allem setzen sie auf Mundpropaganda.
Nach der Demonstration bleibt es in Potsdam im Vergleich zu anderen Orten in der DDR ruhig. Die Menschen hier gehen in den ersten Wochen der Friedlichen Revolution weniger auf die Straße, drängen aber in die Veranstaltungen des Neuen Forums, der anderen neuen politischen Gruppierungen und der Kirchen. Am 4. November 1989 folgen dann etwa 100.000 Bürgerinnen und Bürger der Stadt dem Demonstrationsaufruf von oppositionellen Gruppen.