Hintergrund
Zum Austausch von Informationen nutzen die Basisgruppen zunächst die vorhandenen überregionalen kirchlichen Strukturen. Bereits im Herbst 1981 treffen sich im Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg Mitglieder der Umweltgruppen. In Sachsen lädt Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider seit Anfang der 1980er Jahre Vertreterinnen und Vertreter der Friedensgruppen zu einer jährlichen Wochenendtagung ein. Die seit 1982 jährlich stattfindende Friedenswerkstatt auf dem Gelände der Ostberliner Erlöserkirche wird zu einem Ort des Austauschs und der Inspiration.
Mit der Zahl und der Vielfalt der Gruppen und der damit einhergehenden Politisierung wächst das Bedürfnis nach eigenen Strukturen für den Erfahrungsaustausch und die Koordination geplanter Aktionen. Auf Initiative des Magdeburger Pfarrers Hans-Jochen Tschiche tagt im März 1983 erstmals das Seminar „Konkret für den Frieden“. Es wird in den folgenden Jahren zum größten und wichtigsten Netzwerk kirchlicher und außerkirchlicher Basisgruppen. Jeweils eine der evangelischen Landeskirchen fungiert als Gastgeberin. Jede Gruppe kann ein bis zwei Vertreterinnen oder Vertreter entsenden. Zunächst sind nur Friedensgruppen eingeladen, ab 1985 auch Umwelt-, Zweidrittelwelt- und Menschenrechtsgruppen.
In den Folgejahren entstehen weitere Organisationsstrukturen mit Netzwerkcharakter. Kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei Konflikten mit staatlichen Stellen mangelnde Solidarität von Seiten kirchlicher Leitungsträger erleben, gründen 1986 den Arbeitskreis Solidarische Kirche.
Eine Gruppe um Carlo Jordan ruft im Januar 1988 das Grün-ökologische Netzwerk Arche ins Leben. Das Nebeneinander verschiedener Netzwerke, die personell miteinander verflochten sind, erweist sich als vorteilhaft gegenüber den Kontroll- und Repressionsversuchen durch den Sicherheitsapparat.
Mobiles Friedensseminar in Mecklenburg im Sommer 1987: Paddelgruppe beim Frühstück. Ab 1983 lädt der Friedenskreis Vipperow zu solchen Seminaren ein. Mehrere Gruppen sind fünf Tage mit Booten, mit Fahrrädern oder zu Fuß unterwegs und treffen sich zu einem Abschlusswochenende, das jeweils unter einem bestimmten Motto steht.
Quelle: Bernd Albani
Im Mai 1988 treffen sich in Budapest Aktive kirchlicher Gruppen aus der DDR mit Mitgliedern des Zwischenkirchlichen Friedensrates der Niederlande und der ungarischen Bürgerbewegung FIDES. „Schutz und Dach“ sollen die Kirchen sein „für Kontakte von unten zwischen Gruppen aus Ost und West“, heißt es in der Abschlusserklärung.
Quelle: Bernd Albani
Konkret für den Frieden
Im Vorfeld des ersten Treffens, das am 5. und 6. März 1983 in Berlin-Oberschöneweide stattfindet, erhöhen staatliche Stellen den Druck auf die Kirchenleitung. Es dürfe keine „unabhängige Friedensbewegung“ installiert werden. In einem Beschluss des Konsistoriums heißt es unter anderem:
„Das Friedensseminar kann jedoch nicht zur Plattform einseitiger (gemeint ist DDR-kritischer) Positionen werden.“
Dessen ungeachtet bekommt mit diesem künftig jährlich stattfindenden Seminar die unabhängige Friedensbewegung in der DDR ihre ersten landesweiten Strukturen.
Das Delegiertentreffen entwickelt sich zu einer Art Basisparlament. Es werden Positionspapiere sowie Eingaben und Briefe an staatliche Stellen beraten und beschlossen.
Von den Delegierten wird ein „Fortsetzungsausschuss“ gewählt, der das folgende Treffen thematisch und organisatorisch vorbereitet und die Verbindung zwischen den DDR-weit mehr als 200 Gruppen aufrechterhält.
Hans-Jürgen Röder, in den 1980er Jahren Ostberlin-Korrespondent des epd, über die Bedeutung des Netzwerkes „Konkret für den Frieden“
„Konkret für den Frieden IV“ 1986 in Stendal. Delegierte beim Gottesdienst im Dom. Erstmals spielen Menschenrechtsfragen und damit Demokratiedefizite in der DDR eine wichtige Rolle.
Quelle: Archiv Bernd Albani
„Konkret für den Frieden V“ 1987 in Leipzig mit Landesbischof Johannes Hempel. Die verabschiedeten Erklärungen zielen auf politische Teilhabe, freie Öffentlichkeit und Rechtsstaatlichkeit.
Quelle: epd-Bild/Bernd Bohm
Die erste Friedenswerkstatt in der Berliner Erlöserkirche im Sommer 1982 zählt etwa 3.000 Besucherinnen und Besucher, darunter prominente Kirchenleute und Künstler wie Stefan Heym. Mit Horst-Eberhard Richter ist ein Vertreter der Friedensbewegung aus der Bundesrepublik angereist.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/RHG_Fo_WF_113
Stand der Gruppe Hoffnung Nicaragua während der Friedenswerkstatt im Juni 1985 auf dem Gelände der Berliner Erlöserkirche.
Quelle: epd-bild/Bernd Bohm
Friedenswerkstätten
Friedenswerkstätten tragen in den 1980er Jahren wesentlich dazu bei, dass sich die Aktiven der Basisgruppen in der DDR kennenlernen und vernetzen.
Bei Konzerten und Ausstellungen, an Informationsständen, während Podiumsdiskussionen und in Foren kommen Engagierte und Interessierte in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen zusammen. Sie tauschen sich in einer Weise offen und frei aus, die es in der DDR außerhalb kirchlicher Räume nicht gibt.
Themen wie die Rüstungsspirale, die Unterentwicklung in Teilen der Welt und die Umweltzerstörung werden als sich bedingende Probleme einer Weltordnung diskutiert, die von vielen als menschenfeindlich angesehen wird.
Die Absage der für 1987 in Berlin geplanten Friedenswerkstatt durch die Kirchenleitung mündet in die Gründung der Kirche von Unten.
Martin-Michael Passauer, damals Stadtjugendpfarrer in Ostberlin, über die erste Friedenswerkstatt 1983
Die Arche
Das Grün-ökologische Netzwerk Arche in der Evangelischen Kirche setzt sich ab Januar 1988 für eine stärkere Vernetzung der Umweltgruppen in der DDR ein.
Seine Aktiven treiben auch die Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten in anderen sozialistischen Staaten voran. Carlo Jordan und weitere Gründerinnen und Gründer der Arche haben zuvor die Berliner Umweltbibliothek im Streit verlassen.
Besondere Aufmerksamkeit erlangt der von Mitgliedern der Arche in Zusammenarbeit mit Journalisten aus Westberlin im Juni 1988 gedrehte Film „Bitteres aus Bitterfeld“, der die katastrophalen Folgen der Umweltverschmutzung in der Region Bitterfeld dokumentiert.
Ende September desselben Jahres werden Ausschnitte in der ARD-Sendung Kontraste gezeigt, woraufhin die Arche in Ost und West bekannt wird.
Barbe Linke, Katja Havemann und Gisela Metz (von links) am Stand der „Frauen für den Frieden“ während der Friedenswerkstatt im Juli 1983.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Werner Fischer, RHG_Fo_WF_061
Am Checkpoint Charlie in Westberlin wird so lange protestiert, bis Bärbel Bohley und Ulrike Poppe freikommen.
Quelle: BArch, MfS, HA VI 5638
Frauen für den Frieden
Die Eskalation der atomaren Rüstung Ende der 1970er Jahre ruft weltweit Ängste hervor und mobilisiert zu Protesten. Gleichzeitig verfolgt die DDR-Führung die weitere Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens.
Aus Protest gegen das 1982 erlassene neue Wehrdienstgesetz, das auch Frauen in die Wehrpflicht einbezieht, verfassen Berliner Frauen eine Eingabe an Erich Honecker. Darin heißt es:
„Wir Frauen wollen den Kreis der Gewalt durchbrechen und allen Formen der Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung unsere Teilnahme entziehen“.
Am 12. Dezember 1983 werden Bärbel Bohley, Ulrike Poppe, Jutta Seidel und Irena Kukutz unter dem Vorwurf des „landesverräterischen Treubruchs“ verhaftet. Jutta Seidel und Irena Kukutz kommen nach 24 Stunden frei. Internationale Proteste erzwingen die Freilassung der beiden anderen Frauen am 24. Januar 1984.
DDR-weit entstehen weitere Gruppen, die zur Friedenspolitik, aber auch zu anderen Themen, wie Schule, Umweltschutz und Frauengleichstellung, ihre Stimme erheben und Mitbestimmung einfordern. Um zum Widerstand zu ermutigen und die Vernetzung zu fördern, finden ab 1984 jährlich landesweite Frauentreffen statt.
Ulrike Poppe, Bürgerrechtlerin, über „Frauen für den Frieden“
Ulrike Poppe über ihre Haftzeit
Solidarische Kirche
Pfarrer Harald Wagner über den Arbeitskreis Solidarische Kirche
„Turmbau zu Babel“ – aus einem Heft der „BRIEFE zur Orientierung im Konflikt Mensch-Natur“.
Quelle: Archiv Joachim Krause
Das Heft informiert nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl über die Gefahren der Kernenergie. Der Titel bezieht sich auf eine Äußerung von SED-Chef Erich Honecker, der von Hans-Peter Gensichen ein Exemplar zugeschickt bekommt.
Quelle: Archiv Joachim Krause
Das Kirchliche Forschungsheim Wittenberg
Unter der Leitung von Hans-Peter Gensichen entwickelt das Kirchliche Forschungsheim (KFH) ab Mitte der 1970er Jahre einen neuen Schwerpunkt: die Umwelt.
Schnell wird es laut Gensichen zum inspirierenden Zentrum der „vom SED-Staat unabhängigen, in der Kirche beheimateten Umweltbewegung der DDR“. Ziel des KFH ist es, Informationen zum Zustand der realsozialistischen Umwelt zu sammeln und zu verbreiten sowie Anleitung und Ermutigung für einen nachhaltigeren Lebensstil zu geben. Ausstellungen und Themenhefte wie „Die Erde ist zu retten“, „Waldsterben“, „Atomenergie“, „Anders essen macht Spaß“ fordern dazu auf. Das KFH gibt auch die profilierteste ostdeutsche Umweltzeitschrift „BRIEFE zur Orientierung im Konflikt Mensch-Natur“ heraus, in einer Auflage von bis zu 3.000 Exemplaren.
Ab 1983 lädt das KFH zu einem jährlichen Treffen der meist im kirchlichen Umfeld entstandenen Umweltgruppen ein.
Wehrdienstberatung
Für junge Männer gibt es in der DDR keine öffentlich zugänglichen Informationen über einen möglichen Wehrersatzdienst. Zunächst laden ehemalige Bausoldaten angehende Wehrpflichtige zu „Alt-Neu-Treffen“ ein, um ihnen Entscheidungshilfe zu geben, sie auf den Dienst vorzubereiten und Informationen und Erfahrungen weiterzugeben.
Bald übernehmen die Evangelischen Jungmännerwerke diese Beratung. In den regelmäßig stattfindenden Treffen werden friedensethische Impulse vermittelt, zum Teil in Rollenspielen veranschaulicht, sowie Berichte und Texte verteilt.
Wehrdienstfragen werden auch in kirchlichen Jugendkreisen diskutiert, etwa auf Rüstzeiten. In den 1980er Jahren organisieren auch Friedensgruppen und -netzwerke die Beratung der Jugendlichen.
„Ohne diese Wehrdienstverweigererbewegung hätte es nie die Vorbereitungen für die Umbrüche der achtziger Jahre gegeben.“