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GEWALTLOS WELTWEIT

Erfahrungen mit gewalt­freiem Widerstand

Hintergrund

Die Geschichte des gewaltlosen Widerstandes ist lang und vielgestaltig. Die hier vorgestellte Auswahl von Beispielen seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzt ein mit dem Protest in der Berliner Rosenstraße 1943.

Durch Mahatma Gandhi wird gewaltloser Widerstand erstmals als wirkungsvolles politisches Instrument bekannt. Gandhi wird zum weltweiten Vorbild, so auch für den slowakischen Reformkommunisten Alexander Dubček. Im August 1968 verteidigen die Menschen in der Tschechoslowakei ihren Prager Frühling gewaltfrei gegen die einrollenden Panzer. Trotz ihres Scheiterns ist die Signalwirkung groß. Während des Streiks der polnischen Werftarbeiter und -arbeiterinnen 1980 in Danzig spielen Gottesdienste und Gebete eine entscheidende Rolle für den friedlichen Verlauf. Die Proteste von Prag und Danzig dienen schließlich als Vorbilder für die „Rosenkranz-Revolution“ auf den Philippinen.

In den USA kämpft César Chávez nach dem Vorbild von Martin Luther King gewaltfrei für die Rechte der mexikanischen Landarbeiterinnen und -arbeiter.

In den 1980er Jahren werden mit Konzepten gewaltfreien Widerstandes vielfältige Erfahrungen in der Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung gesammelt.

Viele Diktaturen in Lateinamerika, Asien und Afrika werden gewaltfrei gestürzt, ebenso die meisten kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa. Eindrückliche Beispiele sind die friedlichen Revolutionen in der DDR, in der Tschechoslowakei und im Baltikum. Die Berliner Gethsemanekirche ist 1989 im Kampf für eine Demokratisierung der DDR ein Zentrum gewaltfreien Widerstandes. Sie ist bis heute ein Ort der Solidarität mit politisch Verfolgten.

Der Protest der Fridays-for-Future-Bewegung und Initiativen gegen Hass und Hetze im Netz sind aktuelle Beispiele für gewaltfreien Widerstand.

Die amerikanischen Politikwissenschaftlerinnen Erica Chenoweth und Maria J. Stephan weisen in einer vielbeachteten Studie anhand von 323 Aufständen und Revolutionen zwischen 1900 und 2006 nach, dass gewaltlose Proteste bewaffneten Kämpfen langfristig überlegen sind.

“We do not intend to downplay the risks of nonviolent action or suggest that nonviolent campaigns are immune from setbacks or defeat. We furthermore concede that violent insurgencies and guerilla campaigns sometimes succeed (…). But we do want to convey that nonviolent resistance has the potential to succeed in nearly all situations (…) and to more favorable ends in the longer term.”

„Wir wollen weder die Risiken gewaltloser Aktionen herunterspielen noch behaupten, dass gewaltlose Kampagnen vor Rückschlägen oder Niederlagen gefeit sind. Wir räumen außerdem ein, dass gewaltsame Aufstände und Guerilla-Aktionen manchmal Erfolg haben (...). Wir möchten jedoch vermitteln, dass gewaltfreier Widerstand das Potenzial hat, in fast allen Situationen (…) erfolgreich zu sein und längerfristig günstigere Ziele zu erreichen.“

Erica Chenoweth und Maria J. Stephan, Why Civil Resistance works, 2011, S. 227

Prag im August 1968. Als die sowjetischen Panzer einrollen, tritt ihnen die Prager Bevölkerung gewaltfrei entgegen. Menschen überreichen den Soldaten Blumen und suchen das Gespräch.

Quelle: akg –imgages/Ladislav Bielik

Poster zum César-Chávez-Tag in den USA am 31. März 2010. César Chávez (1927–1993) folgt Martin Luther Kings gewaltfreiem Weg im Kampf für die Rechte der mexikanischen Landarbeiterinnen und -arbeiter in den USA. Sein Geburtstag ist in einigen US-Bundesstaaten ein gesetzlicher Feiertag.

Quelle: USGov-DOL (Department of Labor)

Streik in der Danziger Leninwerft im August 1980. Die katholische Kirche unterstützt die Streikenden in dem mehrheitlich katholischen Land. Priester lesen dort die Messe und hören die Beichte.

Quelle: Wikimedia Commons/European Solidarity Centre

Greta Thunberg (*2003) am 27. August 2018. Die 15-jährige Greta Thunberg beginnt während der Schulzeit vor dem Parlamentsgebäude in Stockholm gegen das geringe Engagement von Politik und Wirtschaft in Sachen Klimawandel zu demonstrieren. Ihr „Schulstreik fürs Klima“ findet tausendfache Nachahmung weltweit.

Quelle: Wikimedia Commons/Anders Hellberg

Eingang zur Gethsemanekirche im Oktober 2021. Die Berliner Gethsemanekirche ist ein Ort des Gebetes. Das Transparent „Wachet und betet, Freiheit jetzt! Für die zu Unrecht Inhaftierten in der Türkei und weltweit“ erinnert an die Mahnwache im Oktober 1989. Am Zaun vor der Kirche hängen Informationen über politisch Inhaftierte.

Quelle: Katharina Jany

Proteste in der Berliner Rosenstraße, 1943 (Deutschland)

Am 27. Februar 1943 werden Tausende Jüdinnen und Juden in der „Fabrikaktion“ an ihren Arbeitsplätzen verhaftet. Unter den Gefangenen sind 2.000 jüdische Männer, die mit nichtjüdischen Frauen verheiratet sind. Sie werden im Gebäude der jüdischen Gemeinde in der Rosenstraße zusammengepfercht. Ihre Frauen sammeln sich vor dem Gebäude und rufen: „Gebt uns unsere Männer wieder!“ Die Polizei zerstreut die Ansammlung. Die protestierenden Frauen weichen aber lediglich in Seitenstraßen aus, um gleich wieder vor dem Gebäude zu stehen.

Am 12. März 1943 kommen die Männer frei. Von den 25, die bereits nach Auschwitz deportiert wurden, kehren 23 zurück. Diese Aktion geht in die Geschichte ein. Es ist die einzige Demonstration in Deutschland gegen die Deportation von Jüdinnen und Juden. Ob die Männer auch ohne den Mut und den Protest ihrer Frauen wieder freigelassen worden wären, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.

Ein „begehbares“ Denkmal von Ingeborg Hunzinger erinnert seit 2005 in der Berliner Rosenstraße an die Verhaftung der jüdischen Männer im Februar 1943 sowie an den Mut und den Protest ihrer Ehefrauen.

Quelle: Christian Zeiske

Etwas abseits sitzt ein Mann auf einer Bank und betrachtet die Szene. 1943 war es Juden verboten, auf Bänken zu sitzen.

Quelle: Christian Zeiske

Agnes Wendland (1891–1946) im Garten des Gemeindehauses, 1930er Jahre

Quelle: Manfred Gailus

Helmut Hesse, 1940. Der Pfarrer wird kurz nach seiner Ordination verhaftet. Er stirbt mit 26 Jahren im Konzentrationslager Dachau.

Quelle: Manfred Gailus

„Rettungswiderstand“ am Beispiel von Agnes Wendland und Helmut Hesse (Deutschland)

Agnes Wendland ist die Frau des Pfarrers der Berliner Gethsemanegemeinde, Dr. Walter Wendland. Unter Lebensgefahr versteckt sie mit ihrer Tochter Ruth die jüdischen Jugendlichen Ralf und Rita Neumann und Wolfgang Hammerschmidt. Alle drei überleben.

Im Pfarrhaus gründet sich 1943 die „Kirchliche Arbeitsgemeinschaft“. Sie organisiert die Sammlung von Lebensmittelmarken und verschafft untergetauchten Jüdinnen und Juden gefälschte Pässe und illegale Quartiere. Zur Arbeitsgemeinschaft gehört auch Ruths Verlobter, der Theologe Helmut Hesse (1916–1943). Als einer der wenigen Kirchenleute wendet er sich in seinen Predigten deutlich gegen die Deportation von Jüdinnen und Juden. Helmut Hesse wird verhaftet und in das KZ Dachau überstellt, wo er wegen fehlender medizinischer Versorgung stirbt.

Für Agnes und Ruth Wendland wird 1975 in der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ein Baum gepflanzt. Helmut Hesse erfährt in Wuppertal Ehrungen.

César Chávez und der Befreiungskampf der Chicanos (USA)

Die Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King ermutigen César Cháves, einen Sohn mexikanischer Landarbeiter in den USA, für die Rechte der Chicanos, der mexikanischen Amerikanerinnen und Amerikaner, zu kämpfen.

Diese Minderheit ist arm und völlig rechtlos der Willkür der Großgrundbesitzer ausgeliefert. 1962 gründet Cháves die National Farm Workers Association, eine Gewerkschaft der mexikanischen Landarbeiterinnen und -arbeiter. Streiks und Flugblattaktionen mit Aufrufen zum Boykott bleiben zunächst erfolglos. Nach der Ermordung Martin Luther Kings 1968 spitzt sich die Lage zu.

Die Unternehmer planen, die Protestbewegung mit Gewalt zu beenden. Da greift Chávez zum „letzten Mittel“, wie Mahatma Gandhi es nennt, und beginnt zu fasten. Sein Fasten und Beten ermutigt seine verzweifelten Landsleute und bringt seiner Kampagne die Solidarität der katholischen Kirche und breiter Bevölkerungsschichten ein. 1970 erhält die Gewerkschaft ihre Anerkennung. Die geforderten Kollektivverträge werden akzeptiert.

César Chávez (1927–1993) auf einer Kundgebung in Kalifornien, 1972

Quelle: Wikimedia Commons/Joel Levine

Alexander Dubček (1968) als Vorsitzender der KPČ. 1970 wird er aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen. 1989 erhält er den Sacharow-Menschenrechtspreis. 1993 soll er Präsident der Slowakei werden, stirbt jedoch am 7. November 1992 an den Folgen eines Autounfalls.

Quelle: Wikimedia Commons/https://archive.org/details/gov.archives.arc.1536420

Václav Havel (rechts) und Alexander Dubček (links) bei der Gründung des Bürgerforums am 19. November 1989 in Prag

Quelle: IMAGO/CTK Photo, 0056757446

Der passive Widerstand während des Prager Frühlings 1968 und die „Samtene Revolution“ 1989 (Tschechoslowakei)

Im März 1968 beginnt in der sozialistischen Tschechoslowakei unter Führung des Reformkommunisten Alexander Dubček ein Demokratisierungsprozess, der von der Bevölkerung mit großer Zustimmung mitgetragen wird.

Um diese „Konterrevolution“ zu beenden, rücken in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 Truppen von fünf Warschauer-Pakt-Staaten unter sowjetischer Führung in die ČSSR ein. Der tschechische Rundfunk ruft zu zivilem Widerstand auf. Sieben Tage lang verteidigen die Menschen ihren Prager Frühling, stellen sich friedlich den 6.000 Panzern entgegen und verweigern die Zusammenarbeit. Alexander Dubček und seine Getreuen werden verhaftet. Unter sowjetischem Druck werden die Reformen zurückgenommen und moskautreue Staatsfunktionäre eingesetzt.

Die „Samtene Revolution“ beginnt am 17. November 1989 mit einer Demonstration von Studierenden in Prag. Sie fordern eine Demokratisierung der Gesellschaft. Die Sicherheitskräfte gehen brutal gegen die Demonstrierenden vor. Drei Tage später demonstrieren Hunderttausende in Prag gegen das Machtmonopol der Kommunisten.

Der Mitbegründer der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 Václav Havel ruft zum Generalstreik auf. Am 29. November streicht das Parlament den Führungsanspruch der Kommunistischen Partei aus der Verfassung. Am 28. Dezember wird Alexander Dubček zum Parlamentspräsidenten, am Tag darauf Václav Havel zum Staatspräsidenten gewählt.

Gegen die Ausweitung des Truppenübungsplatzes auf dem Larzac (Frankreich)

Der Larzac ist ein landwirtschaftlich geprägtes Hochplateau in Südfrankreich. 1970 beschließt die französische Regierung, den seit 1905 bestehenden Truppenübungsplatz von circa 30 auf 170 Quadratkilometer zu vergrößern. Unter den Bäuerinnen und Bauern regt sich Widerstand. Da Demonstrationen und Verhandlungen ohne Erfolg bleiben, droht der Protest in Gewalt umzuschlagen. Es kommt zu Bombenanschlägen. In dieser verfahrenen Situation schließt sich Lanza del Vasto dem Protest an. Während eines 14-tägigen Fastens gelingt es dem Gandhischüler, die Protestierenden auf einen gewaltlosen Weg einzuschwören. Sie legen das feierliche Versprechen ab, niemals ihr Land aufzugeben und zusammenzuhalten. Ihr gewaltfreier Widerstand erfährt eine wachsende weltweite Solidarität. Nach zehn Jahren gibt die Regierung auf. Larzac wird zum Vorbild für gewaltfreie Proteste weltweit – so etwa für die Anti-Atomkraft-Bewegung und die Friedensbewegung der 1980er Jahre.

Landschaft im Larzac, 2007

Quelle: Wikimedia commons/Sergesal

Johannes Paul II, 1980. Neun Mal besucht der Papst seine polnische Heimat und bestärkt seine Landsleute, mutig für die Freiheit zu kämpfen.

Quelle: BArch, B 145 Bild-F059404-0019/Lothar Schaack

Lech Wałęsa (*1943), Elektriker, Streikführer in der Danziger Leninwerft und Vorsitzender der Solidarnosc. Er wird 1981/82 interniert, erhält 1983 den Friedensnobelpreis und ist von 1990 bis 1995 polnischer Staatspräsident.

Quelle: Wikimedia Commons/European Solidarity Centre

Der Streik der Danziger Werftarbeiter und -arbeiterinnen 1980 und der Sieg der Solidarność 1989 (Polen)

Die Wahl von Karol Wojtyła zum Papst 1978 lässt die mehrheitlich katholische Bevölkerung in Polen Mut schöpfen. Im August 1980 beginnen die Danziger Werftarbeiterinnen und -arbeiter für eine freie Gewerkschaft zu streiken. Heiligenbilder, Papstporträts, Gebete und Gottesdienste ermutigen die Streikenden.

Am 17. September 1980 wird die Solidarność, die erste freie Gewerkschaft gegründet, deren Mitgliederzahl unter dem Vorsitz von Lech Wałęsa auf 9,5 Millionen wächst.

Die Proteste erzwingen die Legalisierung und Anerkennung der Solidarność durch die Regierung. Am 13. Dezember 1981 jedoch ruft die kommunistische Führung das Kriegsrecht aus, das bis zum Juli 1983 gelten soll. Die Solidarność wird verboten, mehr als 10.000 Gewerkschaftsmitglieder sowie Oppositionelle werden verhaftet und die Grenzen Polens geschlossen.

Angesichts der neuen sowjetischen Politik unter Michail Gorbatschow kündigt Parteichef Wojciech Jaruzelski 1986 erste Schritte zu demokratischen Veränderungen an. Am 6. Februar 1989 tagt in Warschau der erste Runde Tisch. Am 4. Juni finden die ersten freien Wahlen statt. Die Solidarność siegt mit überwältigender Mehrheit.

Gewaltfrei gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Mutlangen (Bundesrepublik Deutschland)

Während des Kirchentags in Hamburg 1981 formiert sich eine der ersten großen Friedensdemonstrationen. Weitere folgen 1982 beim Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagan in Berlin und Bonn. Der NATO-Doppelbeschluss soll durch „Nachrüstung“ ein „Gleichgewicht des Schreckens“ herstellen, da die Sowjetunion atomare Mittelstreckenraketen (SS-20) entwickelt und stationiert hat. Der Beschluss der NATO ist mit dem Angebot zu Verhandlungen verbunden.

Als bekannt wird, dass auf dem Stützpunkt der US-Armee in Mutlangen nukleare Mittelstreckenraketen (Pershing II) stationiert werden, wächst der Protest. Demonstrierende, darunter Pfarrer in Talar und Prominente, halten gewaltfrei Sitzblockaden ab und besetzen die Zufahrt zum US-Camp. Die innergesellschaftlichen Debatten, auch in den Kirchen, werden scharf geführt.

1988 beschließen USA und UdSSR die Vernichtung aller Mittelstreckenraketen. 1990 werden die Pershing-II-Raketen verschrottet und das Gelände wird an die Gemeinde Mutlangen zurückgegeben.

Sitzblockade vor dem US-Army-Stützpunkt in Mutlangen gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen (Pershing II) 

Quelle: Pressehütte Mutlangen/Thomas Pflaum

Demonstration in Wyhl auf der Baustelle des geplanten Kernkraftwerkes Süd, Ostern 1975. Der Widerstand ist erfolgreich. 1977 wird der Weiterbau eingestellt.

Quelle: IMAGO/Eckhard Stengel

Mit Wasserwerfern gegen Sitzblockaden. Im Februar 1981 kommen in Brokdorf 100.000 Menschen gegen den Bau des geplanten Atomkraftwerkes zusammen. Mehr als 10.000 Polizeikräfte versuchen die Erstürmung des Baugeländes zu verhindern. Es ist der bis dato größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik.

Quelle: picture alliance/dpa/Wulf Pfeiffer

Gewaltfrei gegen Atomkraft (Bundesrepublik Deutschland)

Die Atomkraft gilt in den 1960er Jahren als effizient und sauber. Die Energiekrise von 1973 führt allen vor Augen, wie groß die Abhängigkeit vom Öl ist. Doch überall, wo Kernkraftwerke entstehen, organisieren sich Kernkraftgegner zum Protest.

Erst 1973 beginnt ein überregionaler Widerstand. 1976 versammeln sich in Brokdorf 30.000 Atomkraftgegnerinnen und -gegner. Es kommt zu Gewalt und zu einem vorläufigen Baustopp. 1986 geht Brokdorf als erstes KKW nach der Tschernobyl-Katastrophe ans Netz.

1977 beginnt der Protest gegen das geplante Atommüll-Endlager in Gorleben. 150.000 Menschen kommen 1979 zur größten friedlichen Demonstration gegen Kernenergie in Bonn zusammen. Seit der Inbetriebnahme des Lagers in Gorleben (1995) fokussiert sich der Widerstand auf die Castortransporte. Dass die Proteste gegen Atomkraft vorwiegend gewaltfrei verlaufen, ist dem Einfluss von Initiativen wie der KURVE Wustrow zu verdanken.

Die „Rosenkranz-Revolution“ 1986 (Philippinen)

Auf den Philippinen stehen 1986 zehntausende Menschen, angeführt von Nonnen und Priestern, den Panzern des Marcos-Regimes mit Gebeten, Gesängen und Rosenkränzen gegenüber. Nach dem Vorbild des Prager Frühlings von 1968 überreichen sie den Soldaten Brot und Blumen. Diese solidarisieren sich mit dem Protest.

Die Diktatur wird gestürzt. Corazon Aquino, die Witwe des 1983 ermordeten Oppositionsführers Benigno Aquino, wird zur neuen Präsidentin gewählt. Wesentlichen Anteil am friedlichen Verlauf haben Hildegard Goss-Mayr und Jean Goss. Sie besuchen 1984 auf Einladung von Ordensleuten die Philippinen. In Gesprächen, Schulungen und Seminaren vermitteln sie Verantwortlichen aus Kirchen und Gewerkschaften sowie Studierenden die Methoden des gewaltfreien Widerstandes.

Die „Rosenkranz-Revolution“ wird zum Vorbild für gewaltfreie Proteste in der Demokratischen Republik Kongo (Zaire), auf Madagaskar, in Myanmar (Burma) und China.

Beten am Wasserwerfer, 1986. Auf den Philippinen ist die Bevölkerung mehrheitlich katholisch. Die katholische Kirche solidarisiert sich mit dem Protest, der wie bei den Streiks 1980 in Polen von religiösen Symbolen und Gebeten begleitet wird.

Quelle: Hildegard Goss-Mayr

Jean Goss und Hildegard Goss-Mayr mit Corazon Aquino, 1986

Quelle: Hildegard Goss-Mayr

Mit einer 600 Kilometer langen Menschenkette, dem „Baltischen Weg“, demonstrieren am 23. August 1989 estnische, lettische und litauische Bürgerinnen und Bürger gemeinsam für die Unabhängigkeit ihrer Länder.

Quelle: picture-alliance/dpa

Die „Singende Revolution“ 1989 (Baltikum)

Im Baltikum existiert eine einzigartige Liedtradition. Im 19. und 20. Jahrhundert entsteht in Lettland eine Sammlung von über 1,2 Millionen Volksliedern, die Dainas genannt werden und heute zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. In dem Wissen um die Widerstandskraft dieser Tradition ist in den Unionsrepubliken der Sowjetunion das Singen nationaler Lieder und Hymnen verboten. Während der Perestroika wird dieses Verbot tausendfach missachtet: Friedlich Demonstrierende versammeln sich auf öffentlichen Plätzen oder in Stadien und singen. Man spricht deshalb auch von der „Singenden Revolution“.

Eine 600 Kilometer lange Menschenkette, die längste der Geschichte, zieht sich am 23. August 1989 quer durch die damaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen. 50 Jahre zuvor war der „Hitler-Stalin-Pakt“ geschlossen worden. 1990 kommt es zu freien Wahlen, die drei Staaten werden unabhängig.

Fridays for Future (weltweit)

Fridays for Future ist eine globale Bewegung von Schülerinnen, Schülern und Studierenden, die für einen umfassenden Klimaschutz demonstrieren. Ihren Ausgang nimmt diese gewaltfreie Bewegung in Schweden durch die Schülerin Greta Thunberg, die im August 2018 mit ihrem Slogan „Skolstrejk för Klimatet“ in den Streik tritt.

In erstaunlich kurzer Zeit entsteht daraus eine internationale Protestbewegung, die 2019 und 2020 auch durch weltweite „Globale Klimastreiktage“ von sich reden macht.

Die Fridays-for-Future-Bewegung provoziert eine weltweite öffentliche Debatte über die Notwendigkeit eines radikaleren Klimaschutzes. Trotz Corona-Pandemie gelingt es der Bewegung aktiv zu bleiben.

Fridays-for-Future-Demonstration am 20. September 2019 in Berlin

Quelle: Katharina Jany

App-Icon von LOVE-Storm

Quelle: LOVE-Storm

LOVE-Storm – Gemeinsam gegen Hass im Netz (Bundesrepublik Deutschland)

Als Reaktion auf die Welle von Shitstorms und Hasskommentaren, die während der Flüchtlingskrise in Deutschland 2015/16 in sozialen Netzwerken aufkommt, gründet Björn Kunter das Projekt LOVE-Storm. LOVE-Storm betreibt eine Trainings- und Aktionsplattform im Internet (www.love-storm.de), die Hass im Netz stoppen und die digitale Zivilcourage stärken möchte. Der Ansatz basiert auf Konzepten von aktiver Gewaltfreiheit. Es sollen Angegriffene unterstützt, Mitlesende zur Gegenrede ermutigt und Angreifenden gewaltfrei Grenzen gesetzt werden. LOVE-Storm ermöglicht die Nutzung der Plattform durch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Bildungsarbeit. Auf diesem Weg trägt LOVE-Storm dazu bei, Wissen und Kompetenzen in zivilcouragiertem Handeln im Netz aktiv und wirksam in der Gesellschaft zu verbreiten.

Die Gethsemanekirche – ein Ort der spirituellen Solidarität (Bundesrepublik Deutschland)

In der Berliner Gethsemanekirche findet seit dem ersten Golfkrieg im Januar 1991 jeden Montag ein Friedensgebet statt, das von verschiedenen Gruppen ökumenisch getragen wird. Nach der Verhaftung von Peter Steudtner und anderen Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten im Juli 2017 in der Türkei finden jeden Abend Andachten statt.

Das Transparent „Wachet und betet – Freiheit jetzt! Für die zu Unrecht Inhaftierten in der Türkei und weltweit” knüpft bewusst an 1989 an. Die täglichen politischen Gebete werden auch nach Peter Steudtners Freilassung im Oktober 2017 fortgesetzt. Die Gruppe „Freiheit Jetzt!” pflegt Freundschaften zu politisch Verfolgten aus der Türkei, aus Belarus und anderen Ländern.

Gethsemane ist der Name des Gartens, in dem Jesus vor seiner Kreuzigung verhaftet wird. Dort bittet Jesus seine Jünger, mit ihm zu wachen und zu beten. Als Ort des fürbittenden Gebetes ist die Gethsemanekirche ein Ort der spirituellen und politischen Solidarität.

Peter Steudtner (*1971) mit dem türkischen Exilschriftsteller Doğan Akhanlı (1957–2021) bei der Veranstaltung „Magie der Solidarität“ am 18. Januar 2019 in der Gethsemanekirche. Peter Steudtner ist Trainer für ganzheitliche Sicherheit für Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger und für gewaltfreie Konflikttransformation. Er arbeitet für verschiedene NGOs wie KURVE Wustrow, INKOTA-netzwerk und Digital Defenders Partnership.

Quelle: akg –imgages/Ladislav BielikQuelle: Peter Steudtner

Ina Rumiantseva (*1976), Pressesprecherin der Belarussischen Gemeinschaft RAZAM e. V., mit ihrem Mann Andrej Rumiantsev (*1972), Vorstandsmitglied von RAZAM, im November 2021 in der Gethsemanekirche

Quelle: Katharina Jany

Hansjürg Schößler (*1963)

Quelle: Katharina Jany

Hansjürg Schößler, mehrfach inhaftierter Oppositioneller in der DDR, über die Bedeutung des kontinuierlichen Gebetes für politische Häftlinge

Ina Rumiantseva (*1976)

Quelle: Katharina Jany

Ina Rumiantseva, Pressesprecherin der Belarussischen Gemeinschaft RAZAM e. V., über die Demokratiebewegung in Belarus und die Rolle der Solidarität

Ina Rumiantseva über ihr Unverständnis für Menschen, die Deutschland als „Corona-Diktatur“ bezeichnen

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